13.11.2022 - Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres

Johannes Habdank predigt im Katharina von Bora-Haus
Bildrechte Ev.-Luth. KG Berg (ITe)

Gottesdienst mit Abendmahl und Konfirmandeneinführung

um 10:00 Uhr im Katharina von Bora-Haus

mit Pfarrer Johannes Habdank

Nachstehend die Predigt zum Nachlesen.

Zeitgleich Kindergottesdienst "Engel"

(Entsendung der Kinder in den Kindergottesdienst nach dem Eingangslied)

 

Im Anschluss an den Gottesdienst Imbiss und Gemeindeversammlung

Bilder von dem Vormittag hier.

 

Predigt von Pfarrer Johannes Habdank am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres:  "Jüngstes Gericht"


Liebe Gemeinde!

Das Jüngste Gericht gehört zu den schwierigsten Vorstellungen des christlichen Glaubens heute. Das war nicht immer so. Jesus selbst hat wie das Judentum seiner Zeit daran geglaubt, er wird auch selbst als Richter im Jüngsten Gericht im NT dargestellt. Die Lesung (Mt 25, 31-46) haben wir gehört.

Und darum erster Punkt meiner Predigt heute, zur Erinnerung und zum Einstieg: Die neutestamentliche Vorstellung sieht in groben Zügen so aus, dass der Auferstandene und in den Himmel aufgefahrene Christus, der uns im Geiste gegenwärtig bleibt, am Ende der Zeiten für alle Welt sichtbar wiederkommt, alle Toten auferstehen und in einem letzten großen Tribunal, in dem alles offenbar wird, Rechenschaft ablegen müssen. Da werden ihre Werke, in denen sich ja der Glaube bewähren soll, abschließend beurteilt, die Gerechten und Guten werden ewiges Heil erlangen, die Ungerechten und Bösen ewige Verdammnis, womit das Böse endgültig besiegt und vernichtet wäre und ewiger Friede herrschte. Das ist sozusagen das Programm, das am Ende der Zeiten abläuft, so wie es im NT allgemein gesehen wird.

Zweiter Punkt: Welche Funktionen hat die Vorstellung vom Jüngsten Gericht? Der Wiesbadener Publizist Ernst Probst hat vor einigen Jahren einmal von dieser Vorstellung für uns Heutige ein „Update“ gemacht und es so formuliert: „Wenn man sicher wüsste, dass beim Jüngsten Gericht das Leben  eines jeden Erdenbürgers als Film vor der ganzen Menschheit gezeigt wird, würden sich viele Leute besser benehmen.“ (nochmal: Wenn man sicher wüsste, dass beim Jüngsten Gericht das Leben  eines jeden Erdenbürgers als Film – also Film statt Buch des Lebens – vor der ganzen Menschheit gezeigt wird, würden sich viele Leute besser benehmen.) –
Diese moderne Version macht sehr schön anschaulich, worauf es ankommt bei der Vorstellung vom Jüngsten Gericht: Es wird für alle – auch alle, die wir hier sitzen – ziemlich peinlich. Jeder wird sich blamieren, so gut er kann und es getan hat. Es wird rückhaltlos alles aufgedeckt. Alles auch noch so Persönliche und auch alles bis dato geheim Gehaltene kommt ans Licht, wird offenbar. Nichts mehr bleibt verborgen. Alles Menschlich-Geschichtliche in all seiner Undurchschaubarkeit und Unübersichtlichkeit, in seinen verdeckten Zusammenhängen und unausgesprochenen Halb- und Unwahrheiten kommt ans Licht. Alle List und Hinterlist, alle Gerüchte werden aufgeklärt, Vorurteile und Vorverurteilungen bloßgestellt – schamlos und rückhaltlos. Das Spiel ist aus! Das Lebensspiel. Es wird endgültig Schlussbilanz gezogen. Darum geht es im Jüngsten Gericht. Es wird deshalb so peinlich, weil Wiederkunft Christi und Jüngstes Gericht eine vor aller Augen sich abspielende, öffentliche und veröffentlichende Veranstaltung ist, in die alle hineingezogen werden und dabei sein müssen, nicht nur Christen oder die, die meinen, besonders kirchlich-fromm zu sein, sondern alle Menschen aller Völker. Wenn wirklich die Filme aller Menschen vorgeführt werden, dann wird das die längste Sendung oder das größte Filmfestival aller Zeiten. Vielleicht sähe man ja dann endlich mal das wahre Leben auch von Ihnen, von Euch allen hier. Das wahre Leben einiger Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oder aus der Geschichte würden mich auch mal interessieren. Und den wahren Film über mein eigenes Leben müsste ich mir allerdings auch ansehen und von allen ansehen lassen – wer weiß schon, wie es wirklich bei einem selbst aussieht, innen und von außen? Ja, am Ende kommt alles raus von allen, vor allen, für alle. Das wäre deshalb auch das Ende eines jeden Enthüllungsjournalismus, nicht nur, weil der selbst mit auf der Anklagebank säße. (Es ist ja auch ein Publizist, der diese Film-Version vom Jüngsten Gericht sich hat einfallen lassen.)

Nun, bis zu diesem endgültigen Ende haben der Publizist und wir noch Zeit! Denn das Ganze findet erst lange nach unserm Tod statt und ist erst für das Ende aller Zeiten in Planung, wer weiß schon, wann? Jesus selbst und das Urchristentum haben – zeitbedingt – geglaubt: das Ende dieser Welt kommt bald, steht sogar unmittelbar bevor, Luther eineinhalbtausend Jahre später hat das auch noch so gesehen – aber: es ist eine Verzögerung eingetreten mit dieser geglaubten Wiederkunft Christi zum Gericht, auch die Juden warten bis heute, dass der endzeitliche Menschensohn kommt. Warten wir wirklich auch noch darauf? Wenn man sicher wüsste, dass beim Jüngsten Gericht das Leben eines jeden Erdenbürgers als Film vor der ganzen Menschheit gezeigt wird, würden sich viele Leute besser benehmen.

Ist das der Sinn der Vorstellung vom Jüngsten Gericht? Anreiz zu geben, Druck auszuüben auf die Erdenmenschen, uns Erdlinge, sich „besser zu benehmen“, sich „anständig zu verhalten“. Die gelebte Alltagsmoral soll verbessert werden? Das sicher auch. Aber das ist zu wenig. Zugegeben, bei einigen wäre das schon zu viel erwartet. Doch biblisch gesehen ist das zu wenig.

Darum dritter Punkt: Die spezielle zusätzliche Funktion der Vorstellung vom Jüngsten Gericht im Neuen Testament über das hinaus, was der moderne Publizist sagt, ist es, den Glauben an Jesus Christus zu fördern und gute Werke zu fordern, also die Erfüllung des christlichen Gebots der Gottes-, Nächsten- und Feindesliebe anzumahnen, wie Jesus in seiner Rede vom Endgericht im Matthäusevangelium konkret sagt: Hungrigen zu essen geben, Dürstenden zu trinken, Fremde zu beherbergen, Nackte zu kleiden, Kranke und auch Gefangene zu besuchen.  Dabei zählen nicht die schönen Worte oder Absichtserklärungen. Nein, dass man es macht, darauf kommt es an. Wie es in der Gerichtsrede heißt: nicht die, die sagen, sie hätten das alles gemacht, tatsächlich aber nichts getan haben, sondern die, die das alles in Bescheidenheit gemacht haben und sich darauf nichts einbilden, die sind am Ende die Gerechten. Die sind die, von denen Jesus sagt: Was ihr getan habt einem von meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Warum eigentlich „mir getan“?

Weil Jesus selbst der ist, der diese neue Gerechtigkeit gepredigt und gelebt hat. Deswegen ist auch er der, der als Richter anhand dieses Maßstabes der neuen Gerechtigkeit vorzustellen ist. Und weil Jesus selbst auch und vor allem ein außerordentlich barmherziger Mensch, ein Überzeugungstäter der Barmherzigkeit war, nicht nur andere dazu aufgerufen hat, stehen die Chancen gut, dass auch diejenigen im Gericht heil davonkommen, die eigentlich nicht Vergebung, sondern konsequenterweise Strafe verdient hätten. Das ist auch eine nicht ganz unwesentliche Vorstellung und Hoffnung im Neuen Testament: am Ende werden alle gerettet werden, wird es ein Gericht zum Heil sein, weil Christus barmherzig ist, damals und heute. Diese Vorstellung spielt aber leider nicht die Hauptrolle im Neuen Testament.

Liebe Gemeinde, die neutestamentliche Vorstellung vom Jüngsten Gericht hat kirchengeschichtlich eine bemerkenswerte Karriere gemacht. Und das ist mein vierter Punkt.

Mit angeregt auch durch die sehr konkrete Bildhaftigkeit der Endzeit-Vorstellungen im Neuen Testament wie Feuer oder Hölle, hat der Glaube an das Jüngste Gericht vor allem im Mittelalter viele seltsame Blüten getrieben und auch bösartige Auswüchse, Folgen und Verfolgungen gezeitigt; und natürlich auch phantastische Ausmalungen des Jüngsten Gerichts in der bildenden Kunst hervorgebracht, die mit  ihren Höllendarstellungen – jeweils auf dem neuesten Stand der zeitgenössischen Foltertechnik – auch uns Heutige noch das Gruseln lehren. Heute fände man den ach so humanen elektrischen Stuhl, Folterkammern, Konzentrationslager oder Enthauptungen dargestellt.

Bei der bildlichen Darstellung allein ist es aber – und das ist auch heute so – bekanntlich nicht geblieben. Die abendländisch-römische Amtskirche hat sich im Laufe ihrer Geschichte jahrhundertelang zunehmend zur exklusiven Heilsagentur Gottes auf Erden aufgeschwungen und mit großem theologischem Einfallsreichtum sich selbst die Rolle einer Art vorgezogenen Jüngsten Gerichts zugewiesen, angemaßt. Ein heilig-unseliges Spiel, das nur allzu oft bitterer Ernst wurde, mit allen Konsequenzen für die, die darunter zu leiden hatten: Ketzerverfolgungen, Hexenverbrennungen usw.. Luther wäre diesem System ja auch fast zum Opfer gefallen.

Im Grunde ist dadurch die traditionelle neutestamentliche Vorstellung vom Jüngsten Gericht nicht nur missbraucht, sondern bis heute und auf Dauer desavouiert worden. So dass vernünftige Aufklärungsdenker nicht menschenrechtspolitisch, sondern sehr viel scharfsinniger: erkenntnis- und religionskritisch zurecht erfolgreich gut dagegen vorgehen konnten, mit dem Ergebnis für uns heute – und das ist der fünfte Punkt: die kritische Reaktion auf diese Geschichte – ich skizziere nur grob und, es bleibt dann nicht mehr viel übrig als die folgenden wenigen Einsichten:

Wir mit unserem begrenzten Erkenntnisvermögen wissen doch eigentlich gar nichts vom Ende der Zeiten; keiner hat jemals über die Todesgrenze hinausgeschaut. Es kann also nur menschlicher Phantasie entspringen: das Jüngste Gericht – eine Projektion und Hochrechnung irdisch unerfüllter Wünsche, des Sozialneids, der Rachephantasien. Das Jüngste Gericht - ein Herrschaftsinstrument von Kirche, Staat und mit ihnen verbündetem Kapital zum Zwecke der Vertröstung aller, die in diesem Leben geistig und materiell zu kurz gekommen sind, unterdrückt und niedergehalten wurden.

Da spricht vieles dafür, ob es einem passt oder nicht. Wenn aber dann umgekehrt die Gerichtsvorstellung deshalb aus dem Jenseits völlig in das Diesseits verlegt wird, ganz säkular gemacht wird: die Weltgeschichte selbst zum Weltgericht gemacht wird – ohne ein kritisch-relativierendes Korrektiv, das darüber hinausweist, also ohne Gottesvorstellung  – dann wird es auch wieder gefährlich, wie die totalitären Herrschaftssysteme des 20. Jahrhunderts gezeigt haben: Weltliche Herrscher als Weltenrichter? Die Selbstverabsolutierung des Menschen, der sich auf einmal selbst aufführt wie die ehedem noch kritisch verabschiedeten Gestalten eines Richtergottes und einer mittelalterlichen Kirche? Das kann es auch nicht sein. Auch diese Version der Jüngsten Gerichtsbarkeit ist schmerzhaft schief gegangen.

Dann stellt sich ja schließlich die Frage: Was bleibt schließlich von der Vorstellung vom Jüngsten Gericht heute noch? Die Vorstellung vom endzeitlichen Gericht ist uns abhandengekommen, die vom sich in der diesseitigen Geschichte selbst vollziehende auch. Was bleibt dann noch nach diesem notwendig gewordenen doppelten Abschied vom Jüngsten Gericht alter und neuer Prägung, liebe Gemeinde?

Drei Anregungen für Sie, die ich habe, zum Weiterdenken und auch -glauben:

Erstens. Die neutestamentlich-traditionelle Vorstellung vom jenseitigen Endgericht, so wenig man heute mit ihr noch anfangen kann, hat einen guten Sinn. Sie hat eine Funktion auch für uns heute noch, trotz ihrer unseligen Wirkungsgeschichte. Sie ist ein Symbol für ein fundamental wichtiges Differenzbewusstsein, das wir pflegen sollten: für die Einsicht, dass nicht wir Menschen die sind, die letztgültige Urteile über andere und die Welt hier auf Erden und für alle Zeiten zu fällen und durchzusetzen haben; keinem Menschen, keiner weltlichen und keiner kirchlichen Instanz steht es zu, jemanden zu verketzern oder zu verdammen, auch im Positiven: irgendwelche Zustände oder Idealvorstellungen ultimativ hochzujubeln, als bedeuteten sie schon das Paradies, Seligkeit auf Erden und in Ewigkeit. Zurückhaltung, bitte! Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet, ist das passende Wort Jesu dazu. Passendes Bild: vom Splitter in des Bruders Auge, den du siehst, den Balken im eigenen Auge aber nicht.
 
Zweitens. Was man aus der christlichen Religionsgeschichte bezüglich der Vorstellung vom Jüngsten Gericht m. E. lernen kann: üben wir uns hinsichtlich der ganzen Sphäre des Jenseitigen lieber in frommer Skepsis und Bescheidenheit. Wir sind nicht die großen Macher noch die großen Kenner jener anderen Welt, die uns erwartet. Weder dort noch hier. Weder im Himmel noch auf Erden. Über das Jenseits und das Ende der Zeiten zu spekulieren, ist im Grunde müßig - auch wenn wir natürlich neugierig sind – aber wie heißt es manchmal, wenn die Telefonleitung belegt ist: „wir bitten um etwas Geduld“! Bleiben wir also religiös, was die letzten Dinge betrifft, in der Warteschleife! Bis wir irgendwann einmal selbst dran sind. Was dann kommt, wollen wir im Leben gerne und gleich wissen, unseren Tod aber wollen wir möglichst lange hinausschieben. Das geht nicht. Es geht christlich-menschlich gesehen nur um den Preis des Lebens. Also den Tod. Vorher erfahren wir es nicht. Paulus sagt: Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

Drittens: Es gibt, und das ist das Schöne an der Bibel und auch am NT, auch an der Kirche, wie meistens im Leben: es gibt ja zu jeder Vorstellung auch noch eine Alternative. Und die findet sich bezüglich des Jüngsten Gerichts im Johannesevangelium. Da wird nämlich das Thema Glaube und Unglaube gerade nicht mit der Vorstellung vom Endgericht verknüpft, sondern da heißt es: „Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht geglaubt hat an den Namen des einzigen Sohnes Gottes.“ (Joh 3,18). Und: „Christus spricht: Amen, Amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht.“ (Joh 5,24).
Die Gerichtsvorstellung wird hier also völlig in die gegenwärtige Glaubenssituation hinein verlegt: In deiner Haltung zu Jesus Christus entscheidet sich, ob du teilhast am ewigen Leben oder nicht. Also nicht irgendwann, sondern heute, in deiner persönlichen Glaubensbeziehung zu Jesus, ob und wie du ihn findest, dich von ihm anregen und geistig und für dein Leben bereichern lässt: darin ist enthalten, ob du in seinem Licht lebst oder im Dunkeln, wie es bei Johannes im Bild heißt. Du kannst dich dem Licht Jesu Christi verschließen, und darin ist dann bereits das entsprechende Urteil über dich gesprochen, dass du in der Finsternis lebst. Das ist dann einfach so. „Gericht“ ist hier im Grunde ein selbstverschuldetes Urteil des Menschen über sich selbst, wenn und weil er nicht glaubt. Du kannst dich ihm aber auch öffnen. Wer glaubt, lebt im Licht Jesu Christi, hat das Heil bereits jetzt. Wie es im Johannesevangelium heißt (8, 12): „Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern das Licht des Lebens haben.“ Und das müssen wir zusammen sehen mit der Zusage Jesu aus der Bergpredigt im Matthäusevangelium (5, 14-16): „Ihr seid das Licht der Welt. … So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ Das ist die Aufforderung, nicht nur an das Licht zu glauben, sondern selbst auch Licht zu sein für andere, und zwar um deren selbst willen. Hungrigen zu essen geben, Dürstenden zu trinken, Fremde beherbergen, usw.

Das und Ähnliches wäre der wahre Christen-„Job“, den wir tun müssen. Ehrlich gesagt: Ich persönlich habe, was mich selbst betrifft, den Eindruck, ich komme diesem Ideal nur sehr begrenzt nahe, weil viel zu viel Eigenes im Vordergrund steht und andere Aufgaben. Wie geht es Ihnen damit, Euch?

Amen.