30.01.2022 - Letzter Sonntag nach Epiphanias

Gottesdienst


mit Pfarrer Johannes Habdank


um 10:00 Uhr im Katharina von Bora-Haus
(2G-Regel und FFP2-Maskenpflicht!)

Nachstehend das aufgezeichnete Livestream-Video zum Nachempfinden des Gottesdienstes und - im Anschluss daran - die Predigt zum Nachlesen.

Das aufgezeichnete Livestream-Video des Gottesdienstes zum Nachempfinden

 

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Predigt von Pfarrer Johannes Habdank am 30.01.2022 über
die 10 Gebote, göttlichen Glanz, menschlichen Abglanz und Patina im Alltag

 

Liebe Gemeinde,

der inzwischen emeritierte Berliner Alttestamentler Matthias Köckert schreibt in seinem Buch „Die Zehn Gebote“, das ich Ihnen sehr empfehlen kann (Buch zeigen) - er schreibt über die Zehn Gebote:

„Weniges aus dem Fundus jüdisch-christlicher Überlieferung hat die abendländische Kultur bis heute so geprägt wie die Zehn Gebote. Sie sind wahrscheinlich neben der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium der bekannteste Text der Bibel, auch wenn immer weniger Menschen ihren Wortlaut oder gar ihren ursprünglichen Sinn kennen. Immerhin, die meisten kennen sie wenigstens noch dem Namen nach. Wirklich bekannt sind vor allem die Gebote, die das Verhältnis zum Nächsten betreffen (also die Gebote 4 bis 10), allen voran: >Du sollst nicht töten!< … Zurecht gelten sie als universales Sittengesetz, gültig zu allen Zeiten und an jedem Ort. Thomas Mann erkennt in ihnen die >Quintessenz des Menschenanstands<“ in seiner Novelle >Das Gesetz<“. Da erzählt er (1943) die Geschichte von der Entstehung der Zehn Gebote als eine Geschichte der Menschwerdung des Menschen durch die Ausbildung dessen, was er >Menschenbenehmen< nennt. Die Zehn Gebote sind dessen Alphabet.… (Es geht um das) >Ewig-Kurzgefasste, das Bündig-Bindende, Gottes gedrängtes Sittengesetz. … Die Zehn Gebote seien nicht Geringeres „als Grundweisung und Fels des Menschenanstandes unter den Völkern der Erde. … Mag Gottes Rede auch an Israel gerichtet sein (ursprünglich), so sei sie doch ganz unwillkürlich eine Rede für alle, so dass jeder Mensch wohl weiß: die Worte gelten.“

Das Verständnis der Zehn Gebote als universales Grundgesetz der Menschheit hatte mehr als 400 Jahre vor Thomas Mann schon Lucas Cranach 1516 in einem großen Wandbild für den Gerichtssaal des Rathauses in Wittenberg gestaltet. Sie wurden auch in mancherlei Städten, etwa in Bremen, als Grundordnung, sog. „Grundgesetz“ auf die Fassaden von Rathäusern, in denen Gericht gesprochen wurde, appliziert.

Wie kommt es zu dieser durchschlagenden Grundsatz-Bedeutung der Zehn Gebote, die zwar schon im Alten Testament zweimal prominent formuliert sind, aber religionsgeschichtlich gesehen, vielfach auch überlagert werden durch viele andere, über 600 vor allem kultisch relevante Ge- und Verbote. Im Neuen Testament wird eher selten auf sie Bezug genommen, vor allem durch Jesu gesinnungsethische Radikalisierungen in der Bergpredigt.

Der Dekalog, also wörtlich: Die „zehn Worte“, wie es ursprünglich heißt, kommt erst bei Augustinus Anfang des 5. Jahrhunderts als wesentliches Element des christlichen Glaubens zum Zuge. Und dann vor allem bei Luther. Bei Luther rückt im Kleinen Katechismus der Dekalog sogar an die erste Stelle des christlichen Glaubens, also sogar vor das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und die Sakramente: Das Wort Gottes steht voran! Es sagt, was ein Christ zu tun habe und woher er es nehmen soll.

Nach Luther ist am Dekalog das wichtigste Gebot das Erste: „Ich bin der Herr, dein Gott!“ Und er fragt: „Was heißt einen Gott haben oder was ist ein Gott, dein Gott?“ Von daher gewinnt für Luther und in Folge auch seine Tradition der Dekalog universale Gültigkeit, gewinnt zeitlosen Charakter, unveränderbar, gilt als naturgegeben, jedem Menschen eigentlich einwohnend von Geburt und klein auf, elementar insinuiert.

Liebe Gemeinde, die heutige Predigtgeschichte setzt die Kenntnis der Zehn Gebote zwar voraus, nicht im Detail, aber wenigstens das Wissen um ihre elementare Bedeutung und göttliche Herkunft:

Mose hat die Zehn Gebote am Berg Sinai von Gott empfangen, Gott soll sie sogar mit seinem eigenen Finger in die beiden Steintafeln geschrieben, eingraviert haben, was bedeutet: die Zehn Gebote sind unverbrüchlich und ewig gültig. Als Mose zum ersten Mal von Berg Sinai zum Volk zurückkommt, muss er gewahren, dass das Volk gegen das 1. Gebot verstößt und um das sog. goldene Kalb, einen Jungstier, Symbol des Baalskultes damals, als Ersatzgott tanzt. (Was sind unsere „goldenen Kälber“ heute? Das wäre ein extra Thema.) Aus Wut / heiligem Zorn darüber zerschmettert Mose die beiden Gesetzestafeln und geht nochmal auf den heiligen Berg. Dort spricht er erneut direkt mit Gott und bekommt neue Tafeln, wieder mit dem Finger Gottes geschrieben. Neues, großzügiges Angebot. Gott ist ein Gott der zweiten Chance.

Ich lese die Predigtgeschichte für heute, 2. Mose, Kap. 34:
„Als Mose vom Berge Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in seiner Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte. Als aber Aaron und alle Israeliten sahen, dass die Haut seines Angesichts glänzte, fürchteten sie sich, ihm zu nahen. Da rief sie Mose, und sie wandten sich wieder zu ihm, Aaron und alle Obersten der Gemeinde, und er redete mit ihnen. Danach nahten sich ihm auch alle Israeliten. Und er gebot ihnen alles, was der Herr mit ihm geredet hatte auf dem Berge Sinai. Und als er dies alles mit ihnen geredet hatte, legte er eine Decke auf sein Angesicht. Und wenn er (scil. in das Gotteszelt) hineinging vor den Herrn, mit ihm zu reden, tat er die Decke ab, bis er wieder herausging. Und wenn er herauskam und zu den Israeliten redete, was ihm geboten war, sahen die Israeliten, wie die Haut seines Angesichts glänzte. Dann tat er die Decke auf sein Angesicht, bis er wieder hineinging, mit ihm zu reden.“

Was hat es mit dem Glanz und der Decke auf sich? Die Vorstellung ist die: Gott sehen heißt sterben müssen, weil der Herrlichkeitsglanz seiner Gegenwart für den Menschen unerträglich ist.

Mose trägt seit seiner Gottesbegegnung selbst nun auch einen göttlichen Abglanz auf seinem Gesicht, so dass er, um dem Volk die 10 Worte Gottes vermitteln und nahe bringen zu können, sein Gesicht verhüllen muss, da sonst unerträglich für´s Volk. Nur wenn er in das „Zelt der Begegnung mit Gott“ tritt, eine Art transportabler, mobiler Wandertempel, aber eben ein Zelt, und kein prunkvoller Palast oder Tempel, in dem die Bundeslade, eine Holzkiste steht, wo die Tafeln hineingelegt werden, und die den leeren Thron Gottes symbolisiert – also nur wenn Mose ins heilige Zelt der Gottesbegegnung eintritt, enthüllt er sein Haupt, um mit Gott zu reden.

Liebe Gemeinde, das ist schwierig auf heute zu übertragen.
Aber nehmen wir einmal mit Martin Luther, Lucas Cranach und Thomas Mann an, dass die Zehn Gebote das grundlegende Regel- und Normenwerk darstellen, wobei die ersten drei Gebote sich auf den biblischen Gottesglauben beziehen als Fundament für die Gebote vier bis zehn, die allgemein menschlich Gültigkeit besitzen, so wie der kategorische Imperativ von Kant oder die „goldene“ Regel. Für uns Christen gibt es seit Jesus eine Reformulierung, ein Update: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.

Und mit diesem „Wertehimmel“, wie es gerne genannt wird, kann man nun ganz unterschiedlich umgehen. Wobei es kein „Werte“-, sondern ein Normenhimmel ist, es sind 10 Ge- und Verbote, die dem Menschen zuallererst und immer wieder gesagt werden müssen, weil er sie von allein aufgrund seiner prinzipiellen Fehlgeleitetheit und Ferne von Gott („Sünde“) nicht erfüllt bzw. sich nicht nach ihnen richtet.

Nun gibt es (wenige) Menschen, die mit dem Gotteswillen in Einigkeit leben, wobei das vollständig noch nicht einmal Mose gelungen zu sein scheint, er muss noch am Berg Nebo, also vor der Ankunft im verheißenen Land deshalb sterben, weil er sein Volk nicht genügend im Griff gehabt hat. Und für uns Christen gibt es auch nur einen, von dem wir glauben, dass er in wahrer Einigkeit mit seinem Gottvater gelebt hat: Jesus, für uns deswegen der Christus.

Und dann gibt es viele, die als Mittler dieser ewigen Normen auftreten, auch viele selbsternannte, Pfarrer, Politiker, Philosophen und andere Moralapostel und ihre Institutionen. Die EKD hat vor einigen Monaten eine Aktualisierung der 10 Gebote im Zeitalter der Digitalisierung veröffentlich. Ein Digitalisierungsspezialist an der LMU hält das für einen interessanten Versuch. Denkschriften lesen ist nun nicht eines jeden Menschen Sache.

Vinzenzmurr-Plakat: Kann nicht vom Sinai kommen, Mahlzeit!

Aber man darf sich seit Jahrzehnten in Gestalt eines immer noch stärker ausufernden Ratgeberwesens die diversen Grundnormen fürs Alltagsleben präsentieren oder aufschwätzen lassen: keine wirklich hehren Gebote, aber rhetorisch so hindrapiert bzw. in geistig eher kleine Münze umgetauscht: Wenn man sich daran hält, kann man vielleicht nicht groß glänzen, aber zumindest die Patina seines Alltags auch in der Kommunikation mit anderen etwas aufpolieren!

Und so haben heute die Zehn Gebote für unseren Alltag immer noch Hochkonjunktur, vor allem beratungs- und werbemäßig:

Da gibt es „Zehn Gebote für den Redner“, „Zehn Gebote zum Glücklichsein“, „Zehn Gebote für die Erziehung“, „Zehn Gebote für eine gesunde Ernährung“, „Zehn Gebote für das Bodybuilding“, und neuerdings auch von einer bekannten Schlachterei- und Metzgerei-Kette aus München: „Unsere 10 Leberkäs-Gebote“.

Liebe Gemeinde, soweit ist es mit den Zehn Geboten inzwischen, konkret erlebbar beim Einkaufen.

Aber: muss es denn immer die Form von 10 Geboten oder Worten sein? Nein!

Schon der alte Prophet Micha (8. Jahrhundert v. Chr., Micha 6,8) hat einfach nur gesagt: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nichts als Recht üben, die Güte lieben und demütig wandeln vor deinem Gott“.

Amen.