30.12.2022 - Seelsorge-Kolumne in der tz

 
Der tägliche tz-Ratgeber
heute: Glaubensfragen


Sehen und gesehen werden – von wem?

 

„Du bist ein Gott, der mich sieht“, lautet der ökumenische Jahresspruch, das geistliche Motto der Kirchen  in Deutschland für 2023!

Was dieses biblische Wort ursprünglich bedeutet und für moderne Menschen für einen Sinn haben kann, dem geht Pfarrer Johannes Habdank in einer Kolumne heute nach.

 

Du bist ein Gott, der mich sieht, steht es im 1. Buch der Bibel, Kapitel 16. Worum es geht? Abraham und seine Frau Sarah sind uralt, können kein Kind mehr bekommen. Ersatzweise wird dann doch noch die Magd Hagar von Abraham geschwängert. Hagar wird überheblich gegenüber ihrer kinderlosen Herrin, die demütigen will; Hagar flieht in die Wüste. Ein Engel sagt ihr dort: „Kehre zurück, ich will ein großes Volk aus dir machen, dein Sohn soll Ismael heißen.“ Hagar, die gerade noch missachtet und vertrieben gefühlt, sagt daraufhin: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Auf Ismael führen sich alle arabischstämmigen Völker bis heute zurück. Aber Gott sieht auch noch einmal gnädig auf Sarah: Sie gebiert wider Erwarten Isaak, auf den und dessen Sohn Jakob sich das Volk Israel (und auch die Christenheit) bis heute biblisch zurückführt. Ismaeliten und Israeliten sind also biblisch GeschwisterVölker. Gut, wenn wir heute politisch und im interreligiösen Dialog uns öfter darauf besinnen! Sehen und gesehen werden! Darum geht es jeden Tag bei uns, beim Einkaufen, irgendwelchenEvents, wo man sich blicken lässt. In welchen Klamotten, mit welchen Urlaubserzählungen oder anderem Tollem kann man sich sehen lassen? Selbst die Brillenmode lässt oft weniger fragen: wie gut siehst du damit? Sondern, Wie gut wirst du damit gesehen, wie gut siehst du aus? Sehen und gesehen werden, Image, Selbstwertgefühl? Hängt zwar alles zusammen, das ist aber oft undurchschaubar. Der innere Wert hängt oft zu sehr von äußerlicher Aufmachung ab. Mit welchen Bildern und Storys will man vertreten sein in den Social Media? Immer nur gut aussehen und gut dastehen?

Seien wir ehrlich: Wir machen uns oft allzu sehr von der Fremdwahrnehmung abhängig. Dabei ist doch jeder selber ein wertvoller Mensch, unabhängig von allem Äußeren und dem „Ansehen“!

Der biblische Jahresspruch sagt, dass jeder Mensch, unabhängig von sozialem „Standing“, über alles weltliche hinaus bei einem Höheren, als wir alle es sind, anerkannt und wertgeschätzt ist, gesehen und geachtet ist mit seinem ganzen Leben, den guten und den misslungenen Lebenswegen und -erfahrungen. Mit all dem braucht er sich zumindest vor einem nicht zu schämen, der von jeher um den unendlichen Wert jeder einzelnen Menschenseele weiß: Gott selbst. Du bist ein Gott, der mich sieht – das sollte
uns genügen!

DER TÄGLICHE tz-RATGEBER heute: Glaubensfragen (Merkur/tz 30.12..2022)