30.09.2022 - Seelsorge-Kolumne in der tz

 
Der tägliche tz-Ratgeber
heute: Glaubensfragen


Der kleine Floh ist ein ganz Großer

 

Flohzirkus-Schausteller gehörten früher zum Standardprogramm von Volksfesten. Heute gibt es nur noch wenige, wie den Flohcircus Birk, seit 1948 auf der Wiesn. Geht man da hinein, juckt es einen. Echt?

Pfarrer Johannes Habdank geht dem Floh nach und fragt nach seiner Bedeutung. Er macht erstaunliche Entdeckungen.


 

Erstens: Flöhe können nur schwer dressiert werden. Sie müssen durch Beobachtung eingeteilt werden in Springer und Läufer. Der Läufer kann an einem feinen Silberfaden eine Kutsche ziehen. Springer taugen als Torschützen: Sie können, auf eine Kugel gesetzt, diese beim Sprungversuch von sich schleudern. Geeignet für einen Flohzirkus sind vor allem Weibchen, weil doppelt so groß und kräftig wie die Männchen, die gerade mal zur Vermehrung taugen.

Zweitens: Flöhe gelten auch heute noch allgemein als Schädlinge und Plage. Das war aber vor allem früher so, im Mittelalter und in der Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert. Genau aus diesen vergangenen Zeiten stammt aber auch eine große und vielfältige Literatur, die sogenannte „Flohliteratur“ – siehe Wikipedia „Flohliteratur“, sehr bildend und amüsant zu lesen! Da ist der Floh oftmals ein positiver kleiner Lebensheld, ein fleißiger, schneller,    witziger, auch eine politisch widerständige Symbolfigur, die die Mächtigen kratzt und aussaugt, sogar ein erotisch-ätzendes Vorbild für die Männer, nach dem Motto: Der Floh kommt an weibliche Intimsphären heran, an die kein Mann so schnell ran kann.

Später tritt der Floh in politischer Literatur als gewiefter Kritiker von gesellschaftlichen Missständen und an den Zuständen Leidender auf, aber auch – ganz anders – als Sinnbild für gierige, schamlose, lästige, hinterhältige, listige und blutsaugende Geistliche. Seine Wandelbarkeit und Springfreudigkeit gilt darüber hinaus oft als Leichtsinnigkeit. Und unbeherrschbare Kindergartengruppen und Parlamente werden bis heute gerne als Flohzirkus bezeichnet, weil nicht dressierbar – gut für die Demokratie! Als Floh ist er namentlich aber einer, der schnell mal flieht! Hin und weg!

Drittens: Ob Schädling, erotischer Held, politischer Kritiker, Lästiger, Trickreicher oder Leichtsinniger – egal, was alles mit dem Floh gemacht wurde, ob abermillionen Mal als Quälgeist zerdrückt oder geistig in die Höhe gehoben: In der Bibel steht der Floh positiv für den Kleinen, der einmal ganz groß werden wird. Der kleine David sieht sich gegenüber seinem übergroßen König-Vater Saul als Floh.

Das ist die Entdeckung der Größe in der Kleinheit eines Einzelnen. Soll auch heute noch gelten! Der Fußballer Messi, von Statur eher klein, trug in Barcelona den Spitznamen „La Pulga“, der Floh! Und gilt als ein ganz Großer.
 

DER TÄGLICHE tz-RATGEBER heute: Glaubensfragen  (Münchner Merkur/tz 30.09.2022)