Gottesdienst Karfreitag 2025, Aufkirchen
mit Pfarrer Johannes Habdank
Begrüßung:
Der den Wein austeilt, muss Essig trinken.
Der die Hand nicht hebt zur Abwehr, wird geschlagen.
Der den Verlassenen sucht, wird verlassen.
Der nicht schreien macht, schreit überlaut.
Der die Wunde heilt, wird durchbohrt.
Der den Wurm rettet, wird zertreten.
Der nicht verfolgt, nicht verrät, wird ausgeliefert.
Der nicht schuld ist, der Unschuldige wird gequält.
Der lebendig macht, wird geschlachtet.
Der die Henker begnadigt, stirbt gnadenlos. (EG, S.197)
Worte des christlichen Lyrikers Rudolf Otto Wiemer zu Beginn unseres Gottesdienstes am Karfreitag, zu dem ich alle grüße. Kar-Freitag: "Kar" kommt von ahd. "kara" = Klage, Kummer, Trauer - in diesem Sinne gedenken wir heute mit vielen Christen in der Welt des Todes Jesu Christi am Kreuz. Und wir stehen dabei als protestantische Christen nicht nur am Karfreitag in der Tradition Martin Luthers, für den christlicher Glaube wesentlich Glaube an den Gekreuzigten war. Und zwar so, dass im Glauben an den Gekreuzigten, an sein Wort und seine Geschichte dieser Jesus uns zum Christus wird und für uns über seinen Tod hinaus neu auflebt - ja er aufersteht in unseren Glauben an ihn hinein. So empfiehlt uns Luther, das Verhältnis von Kreuz und Auferstehung im Glauben zu verstehen. Jesu Leben, sein Leidensweg, sein Sterben und sein Tod gewinnen für uns bleibende Bedeutung, steht in unseren Glauben hinein auf. Singen wir in diesem Sinne zum Eingang: Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken!
Predigt:
Liebe Gemeinde,
wer einen Menschen in den letzten Stunden, Minuten, Sekunden seines Lebens begleitet hat, wird diese Situation nicht vergessen können. Er wird nicht vergessen können, wie dieser Mensch mit dem Leben - mit dem Tod gerungen hat. Wie er vielleicht - es ist ja nicht bei jedem so - zwischen Angst vor dem Tod und der Hoffnung auf Erlösung von den Schmerzen und der Ungewissheit, was danach kommt, hin und her gerissen war.
Wenn es ein schweres Sterben war, werden die Bilder vom schmerzhaften Stöhnen, von angstvollen Blicken, von Traurigkeit, vielleicht aber auch von Erleichterung und Erlösung im Gedächtnis bleiben. Was versucht man nicht alles in der letzten Zeit, die einem Sterbenden bleibt, vor allem die, die ihm am nächsten stehen. Etwas Gutes will man ihm tun. Einen Schluck zu Trinken geben, die Hand halten, gute Worte sagen, oder einfach nur schweigen, da sein, begleiten, nicht allein lassen. Es gibt aber auch genügend Erlebnisse, auch eigene, von denen ich weiß, dass der Sterbende genau dann stirbt, wenn kein oder fast kein anderer mehr um ihn herum ist, weil er genau erst dann loslassen kann von seinen lieben Menschen, von seinem lieben Leben. So habe ich es bei meiner Mutter erlebt, auch bei meiner Großmutter. Da war in dem Moment, den wir den entscheidenden nennen, keiner dabei, obwohl einige die ganzen letzte Tage darum herum waren. Dann einmal kurze Pause, rausgehen. Und - es ist geschehen. Kennen Sie das?
Mein Vater hat bezeichnender Weise, bevor er für einen, seinen letzten Tag in die Bewusstlosigkeit gefallen ist, in einem letzten halbwachen Zustand, nach zwei Bildern gesucht, die ihm wesentlich waren - ja, es können auch letzte Bilder statt Worte sein - nach dem Propheten und dem Noah mit der Taube. Er hat immer behauptet, seine Bilder, die wesentlichen, seien Sterbebilder, die einen Menschen hinüberbegleiten könnten, wenn sie sie denn vor Augen hätten, vor dem äußeren und inneren Auge. Dass er seine eigenen Bilder auswendig kannte, ist klar. Denn aus seinem Inneren waren sie ja einmal hervorgegangen. Und er hat seine eigene Empfehlung an andere auch selbst an seinem Ende ernst genommen und "gelebt". Eine letzte Anstrengung, ein letztes Aufstehen, die Bilder! Und dann, nach einem Tag der Bewusstlosigkeit ist er, wohl mit diesen Bildern vor Augen, am Ende nur noch vor dem inneren Auge, gestorben. Ich kam dazu, als er gerade sein Leben ausgehaucht hatte. Dann war er im Frieden.
Vergessen kann man solche letzten Situationen nicht - mehr. Vergessen kann man auch oft nicht die letzten Worte eines Sterbenden. Diese Worte - und es können, wie gesagt, auch Bilder sein - haben irgendwie ein besonderes, bleibendes Gewicht, bleibende Bedeutung.
Wir haben durch die heutige Geschichte aus dem Johannesevangelium die letzten Stunden, die letzten Minuten im Leben Jesu erzählt bekommen: Seines Leidens - seines Todes gedenken wir heute am Karfreitag, um nicht zu vergessen, was damals geschehen ist. Nicht vergessen können.
Mit dem Sterben Jesu ist es auch schon so gewesen: die Menschen, die auf Golgatha dabei waren, konnten es nicht vergessen. Sie konnten auch seine letzten Worte nicht vergessen. Wir haben sie in unserem Bibeltext gehört, wie sie uns im Johannesevangelium überliefert sind.
Es sind auch noch sechs andere letzte Worte Jesu am Kreuz in den Evangelien überliefert. "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen" und weitere. Im Johannesevangelium heißen Jesu letzte Worte: "Es ist vollbracht!"
Was bedeuten diese letzten Worte Jesu?
Einmal: Das kann zunächst ganz schlicht heißen: Es ist zu Ende. Es ist überstanden. "Es ist vollbracht". Scherzhaft wird manchmal gesagt: "es müsse heißen: "Es ist bracht voll!"" Nein, es war kein Scherz. Ist es auch heute am 1.April nicht, sondern: "Es ist vollbracht!" Es ist zu Ende?
Dieses letzte Wort Jesu am Kreuz hat sicher auch den Sinn, dass es nun endlich zu Ende ist mit den bösartigen Nachstellungen, den zermürbenden Verhören, mit den bitteren Enttäuschungen. Enttäuscht hatten ihn ja vor allem seine Jünger: Judas, der ihn verriet; Petrus, der ihn verleugnete. Die anderen Jünger, die sich aus Angst versteckten. Und beim Kreuz war nur ein einziger - Johannes - geblieben, außer den drei Frauen. Ja: es ist zu Ende mit der Verhöhnung der Soldaten, die ihn zur Spottfigur durch Purpurmantel und Dornenkrone machten. "Es ist vollbracht!" – Es ist zu Ende mit dieser inneren und äußeren Qual. Soll das auch heute noch gelten?
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann an die Kreuzigungsszene und an diesen letzten Ruf des Gekreuzigten kaum denken, ohne an all die entsetzlich Gequälten, Gefolterten und Zusammengeschlagenen weltweit und in der Geschichte zu denken - an die vielen, die auf brutale Weise ermordet wurden und auch heute noch werden. Schwer zu fassen, geschweige denn auszuhalten.
Was Jesus selbst betrifft, der für uns Christen das Urbild aller Leidenden ist: Hilft es, um seinen Weg ans Kreuz und seinen Tod auszuhalten, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Jesus in einem besonderen Einheitsbewusstsein mit seinem Gottvater gelebt hat, so dass man sagen kann: Gott selber hat in seinem Sohn menschliches Sterben und Tod bis zum Ende mit-gelitten. Ja, wenn überhaupt, dann ist er deshalb auch uns Heutigem in allem Leiden und Sterben nahe.
"Es ist vollbracht!" Es ist ausgestanden, es ist zu Ende gelitten. Ich denke, dass jede - jeder von uns ganz leise den Ton dieses Wortes mitnehmen kann, so dass wir hoffen können: Wie immer es mit meinem eigenen Sterben sein wird - Jesus Christus wird bei mir sein, weil er die ganze Not und Bitterkeit des Sterbens durchlebt hat. Das ist ein guter Sinn des Glaubens an den Gekreuzigten, auch heute noch.
In diesem Glauben - in dieser Gewissheit kannst Du auch über Deinen eigenen Tod sprechen und kannst Deine letzte Stunde schon in gesunden Tagen bedenken. Kannst mit dir lieben Menschen darüber reden - und Sterben und Tod im Gebet vor Gott bedenken. Damit hört auf das ständige, ängstliche Verdrängen des Themas "Sterben und Tod". Jesus hat es am Kreuz hinaus gerufen in die Menschen damals, in die Menschheit heute.
In unserem Gesangbuch gibt es viele gute Beispiele, wie Menschen sich diesem Nachdenken gestellt haben. Durchaus hoffnungsvolle Lieder sind dabei entstanden, die zugleich auch alle schmerzliche Erfahrung widerspiegeln.
Ein Beispiel ist für mich das Lied von Paul Gerhardt "O Haupt voll Blut und Wunden", EG 85, wir singen es dann noch. In den Versen 9 und 10 heißt es:
Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür,
wenn mir am allerbängsten, wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten, kraft deiner Angst und Pein.
Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod,
und lass mich sehn dein Bilde, in deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll,
dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl.
Und dann gibt es noch eine andere Deutung von "Es ist vollbracht!". Sie besagt: Aus dem Munde Jesu ist noch mehr als das befreite Aufseufzen über alles Leiden herauszuhören. Es ist zugleich ein Wort, das deutlich macht: Es ist nicht nur etwas be-endet, sondern es ist alles voll-endet. Denn der Auftrag Jesu, also das, was er in Gottes Sinne für uns Menschen erfüllen sollte, ist vollbracht.
Gott kommt seit Jesus als liebender und vergebender zu uns - was uns von ihm trennt, klassisch-dogmatisch ausgedrückt: unsere Sünde, ist überwunden.
Von Gott her ist alles geschehen - geschehen mit dem Leben und Sterben Jesu, wir sind und bleiben geliebt und anerkannt für immer. Dass einer nicht von Gott geliebt wäre - das ist ausgeschlossen, auch wenn wir andere ausschließen oder sich viele Menschen selber ausschließen, aus welchen Gründen auch immer. Das hat Jesus selbst exemplarisch vorgelebt und mit seinem Kreuzestod ist er dafür eingestanden. Das Kreuz ist sozusagen das Siegel dafür. Wie ein Kollege schreibt: "das Kreuz ist das Siegeszeichen der Liebe Gottes für diese Welt. Es ist ein positives Zeichen - ein Plus für das Leben." Warum? Weil es das Lebensleid, allen Schmerz und Geschrei, wie es in der Offenbarung des Johannes heißt, nicht leugnet, sondern aufnimmt, integriert in eine Lebensdeutung, die alle Kreuzeserfahrungen mit einschließt, ohne zu beschönigen, sondern ernstnimmt. „Es ist vollbracht“ – es ist insgesamt voll-endet, das Leben, im Enden voll geworden, vollgültig abgeschlossen, mit allen seinen Freuden und Schmerzen, mit aller Gemeinschaft und allen Trennungen, allem Leben Spendenden und Leben Störenden, alles: es ist vollbracht!
Und Jesus selbst hat seine Lebensaufgabe, sein Leben und Wirken mit dem Tod am Kreuz vollbracht. Ob wir Ähnliches über unser Leben an unserem Ende einmal auch so sagen können? "Es ist vollbracht"? Wenn uns Hören und Sehen vergangen sind?
Wie es in dem Liedvers heißt:
Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod,
und lass mich sehn dein Bilde, in deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll,
dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl.
Oder, wie es ein Wort von dem altdeutschen Maler Mathias Grünewald sagt:
Geht mir nit drum, ob min Leib verdorrt wie Gras,
aber um dein Bild in mir geht´s mir.
Dass wir mit Jesu Christi Bild im Kopf und im Herzen, in der Seele und vor Augen, dem äußeren und dem inneren, leben und sterben und so an den Gekreuzigten glauben, darum geht es heute an Karfreitag, um auch selber einmal sagen zu können: "es ist vollbracht".
Amen.