16.09.2022 - Seelsorge-Kolumne in der tz

 
Der tägliche tz-Ratgeber
heute: Glaubensfragen


Gibt es den "lieben Gott" überhaupt?

 

„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“ Oder: „Ach, du lieber Gott!“ – Der „liebe Gott“ begegnet in Gebeten und Redensarten nach wie vor. Aber gibt es den überhaupt?

Das mit dem „lieben Gott“ ist heute nur noch sehr hintergründig zu verstehen, meint Pfarrer Johannes Habdank

 

 


Ein beliebter Taufspruch lautet „Gott ist die Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. Stimmt er? Immerhin beruft sich die ganze Christentumsgeschichte darauf, wenn vom „lieben Gott“ die Rede ist. Dann wird ja wohl was dran sein, oder? Der Reformator Martin Luther hat kritisch gefragt, was es ihm nütze, wenn es heißt: „Gott ist die Liebe“, und er ist es mir nicht? Ich merke nichts davon, spüre ihn nicht als einen mir lieben Gott! Also: Gibt es den „lieben Gott“ überhaupt? Gute Frage! Schauen wir uns die Welt und viele negative menschliche Erfahrungen und Lebensläufe an: Wo ist da der liebe Gott gewesen, wo ist Gott überhaupt „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“, hat Theologe Dietrich Bonhoeffer gesagt. In diesem Sinne kann man heute nicht von Gott reden wie von einem Gegenstand oder einer Person. Er ist größer als unsere Vorstellungen und Gedanken von ihm, letztlich undurchschaubar. Und so können wir zwar von Gott in menschlichen Bildern reden. Die sind aber immer unzulänglich! Sie verweisen auf Höheres, uns Unverfügbares. In Bibel und Religionsgeschichte wird oft sehr menschlich von Gott geredet: Da ist ein gnädiger, auch mal ein zorniger, strafender, oftmals am Ende doch rettender und vergebender Gott. Dargestellt wie eine Art höherer Mensch. Ist das wirklich angemessen?

Seit der Reformation wird deswegen, auch ambivalent, von Gott etwas abstrakter gesprochen, weil man Konkretes nicht sagen kann: vom „nahen“ und vom „fernen“ Gott. Gott hat einen    „Janus“-Kopf. Das eine Gesicht ist uns zugewandt, erlebbar in guten Erfahrungen des Lebens, das andere uns abgewandt oder es scheint zumindest doch so: Wenn wir Leben und Welt nicht mehr verstehen oder ertragen, Negatives erleben.

Es „gibt“ also Gott nicht einfach wie alles, was sonst existiert. Es hat auch keinen Sinn, von ihm so banal daherzureden, als wäre er ein weltlicher Gegenstand oder eine menschliche Person. Den „lieben Gott“ kann man oft nur verdeckt erfahren: in und hinter persönlichen Erlebnissen, und sei es nur in Form der Ahnung, dass es wieder mal einer gut mit dir gemeint hat, der höher ist als all unsere Vernunft, unser Fühlen, Wollen, Trachten. Es wäre ja oft schon sehr viel, ihn hinter dem allen, was wir im Leben erfahren und machen, zu wittern. Nicht wirklich greifbar, aber unser Leben wohl umfangend. „Gott ist die Liebe“ – stimmt’s vielleicht doch.

DER TÄGLICHE tz-RATGEBER heute: Glaubensfragen  (Münchner Merkur/tz 16.09.2022)