07.04.2023 - Karfreitag

Pfarrer Johannes Habdank predigt am Karfreitag 2023 in Aufkirchen
Bildrechte Ev.-Luth. Kirchengemeinde Berg

Gottesdienst mit Abendmahl


um 11 Uhr in der Kath. Pfarrkirche Aufkirchen
 

mit Pfarrer Johannes Habdank


Nachstehend die Predigt „Vom Sinn des Kreuzwegs“ zum Nachlesen.

 

 

Predigt am Karfreitag, 7. April 2023 von Johannes Habdank über „Vom Sinn des Kreuzwegs


Liebe Karfreitagsgemeinde!

Über den Sinn des Kreuzweges – damit meine ich einen auch für uns Evangelische vertretbaren Sinn! Und ich nehme einmal an, dass ein evangelisch vertretbarer Sinn des Kreuzwegs gerade in unserer Gemeinde seit Jahrzehnten wahrgenommen und gepflegt wird, sonst würden wir den Aufkirchener Kreuzweg, dessen 14 Stationsbilder Sie auf einem Blatt in Händen halten, nicht schon so lange ökumenisch mitgehen, oder?

Sonst hätten wir uns womöglich nur ökumenisch angebiedert und an etwas teilgenommen, was im katholischen Bereich nach wie vor bestimmend und gegeben ist, und zwar programmatisch: religiöses Leistungsdenken = „Werkgerechtigkeit“, ein bedeutungsmäßig und quantitativ für uns viel zu großes Ausmaß an Marien- und Heiligen-verehrung, nach wie vor ausgedehntes Ablassdenken und –wesen –  also alles Dinge, die einem Evangelischen, einem aufrechten Protestanten, das ökumenische Mitgehen des Kreuzwegs erschweren bis unmöglichen machen würden.

Denn für uns Evangelische kann es beim Kreuzweg nur um Jesus Christus, den Gekreuzigten, und seinen Leidensweg gehen und ausschließlich den Glauben an ihn, um niemanden und nichts anderes. Und der stramme Protestant lutherischer Prägung würde sich dabei treu auf die reformatorischen Grundprinzipien berufen können:

Sola Gratia, allein durch die Gnade. Sola Fide, allein durch den Glauben. Solo Christo, allein durch Christus.

Da fehlt doch noch eines, vier Prinzipien waren´s: Sola Scriptura!

Wie sieht es aus mit der Schriftgemäßheit der in der Regel 14 Kreuzwegstationen, ursprünglich waren´s mal weniger, manch andere in der Welt haben über 30 Stationen entwickelt …, der Jugendkreuzweg hat heute 7 Stationen – sola scriptura, wie steht es um die Schriftgemäßheit des Kreuzwegs?

Immerhin sollen schon die ersten Christen in Jerusalem den Kreuzweg ihres Herrn im Gedenken nachgegangen sein. Und von da aus entwickelten sich verstärkt spätestens seit der Kreuzfahrerzeit, also 12. und 13.Jahrhundert, mit zunehmender Verbreitung in der ganzen christlichen Welt „Kreuzwege“. Erst noch mit 12 Stationen, bis im Jahre 1625 der spanische Franziskaner Antonius Daza die zwei restlichen hinzufügte, so dass heute 14 Stationen üblich sind. Manchmal gibt es auch eine weitere 15.Station, die den auferstehenden Christus zeigt. So bei unserem Aufkirchener Kreuzweg: die ergänzende Station hätte ursprünglich hier im Klostergarten stehen sollen, sollte sie aber dann doch nicht, und liegt heute in der Assenbucher Straße unten am See oberhalb der Hangwiese hinter der Volkshochschule im Wald. Sie ist im Verfall begriffen und müsste dringend saniert werden. Die Besitzer sind willens, das Landesdenkmalamt ist inzwischen eingeschaltet und hält die Station wohl für erhaltungswürdig, und zwar an dieser Stelle, wo sie jetzt steht, wie ich gestern Abend erfahren habe. - Denkmalschutz für die Auferstehung? Nein, zur Rettung dieser 15. Station!

Den Aufkirchener Kreuzweg hat 1857 der in Leoni lebende Baurat Johann Ulrich Himbsel gestiftet, auch die 15. Station - Himbsel, der durch den Bau der Eisenbahnstrecke München-Starnberg und die Inbetriebnahme des ersten Dampfschiffs auf dem Würmsee, wie er damals noch hieß, bekannt wurde.

Kreuzwege gibt es heute nicht nur als sog. Freilandkreuzwege, sondern auch als Bilder-Folge in den Kirchen, und zwar seit etwa 1700. Seitdem wurden auch die Kirchen selbst mit Kreuzwegbildern ausgestattet, was der weiteren Verbreitung der Kreuzwegtradition gedient hat bis heute, wie auch hier zu sehen ist.

Kreuzweg-Tradition, habe ich gesagt, wie sieht es mit dem biblischen Fundament aus? Was ist wirklich biblisch daran?

Gehen wir die 14 Stationen durch:

Kreuzwegstationen in Berg/Aufkirchen

Station 1:   Jesus wird zum Tode verurteilt - biblisch belegt? Ja.
Station 2:   Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern. Ja.
Station 3:   Jesus fällt zum ersten Mal: steht nicht in der Bibel.
Station 4:   Jesus begegnet seiner Mutter: auch nicht.
Station 5:   Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen. Ja.
Station 6:   Schweißtuch der Veronika. Nein.
Station 7:   Jesus fällt zum zweiten Mal: nein.
Station 8:   Jesus begegnet den weinenden Frauen. Ja. (Die Frauen weinen nicht über Jesus,
                 sondern ihre eigene Unfruchtbarkeit.)
Station 9:   Jesus fällt zum dritten Mal: nein.
Station 10: Jesus wird seiner Kleider beraubt. Ja, biblisch.
Station 11: Jesus wird ans Kreuz genagelt. Ja.
Station 12: Jesus stirbt am Kreuz. Ja.
Station 13: Jesus wird vom Kreuz genommen: ja, biblisch  –
                 und in den Schoß seiner Mutter gelegt: nein, nicht biblisch.
Station 14: Der Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt. Ja.

6 Stationen des Kreuzwegs erweisen sich also bei genauerem Hinsehen als biblisch nicht belegbar. Sie sind also mehr oder weniger gut dazu erfunden? Ja!, und ich meine gut!

Dreimal fällt Jesus, das strukturiert das ganze Drama noch stärker, und die anderen drei dazu gekommenen Stationen nehmen allesamt Frauen in das ganze Kreuzweg-Drama auf, die so sonst gar nicht vorgekommen wären! Katholische Traditionsbildung!?

Alle Feministinnen müssten eigentlich Feuer und Flamme sein für diesen traditionell-katholischen Gesamtentwurf des Kreuzwegs Jesu!

Wobei, liebe Karfreitagsgemeinde: es geht, wie der Apostel Paulus gesagt hat, im Glauben nicht um Mann oder Frau, weder um das „oder“ noch überhaupt um Geschlechtlichkeit. Darum geht es am Ende nicht! Es geht bei jeder Station des Kreuzweges, wie es so schön auf der Homepage unserer katholischen Nachbargemeinde heißt, um diese 14 Stationen „als existentielle Schlüsselsituationen eines jeden Lebens“.

Und diese 14 Stationen können Sie sich auf der Homepage der katholischen Gemeinde auch ansehen als virtuellen Kreuzweg von Aufkirchen mit den Bibelsprüchen der Stationen und einem kurzen begleitenden Kyrie-Gebet.

Sola scriptura – allein die Schrift? Für den Kreuzweg gilt das nicht, aber, liebe Protestanten: Es sind auch schon viele Stellen in der Schrift selbst nicht gerade „echt“ und haben Jesus Dinge angedichtet, die auch nicht so ganz stimmen und vielleicht sogar weniger gut erfunden sind als das, was der Kreuzweg uns an zusätzlichen Materialien zur persönlichen Andacht bietet: Ich denke, es ist nicht schrift-  und sinnwidrig, geschweige denn, dass es Jesu Intention selbst widerspräche, wenn man ihn dreimal fallen lässt, um sein Drama in seiner Steigerung zu veranschaulichen, oder wenn er am Ende noch einmal seiner Mutter begegnet - das tut er sogar laut Schrift am Kreuz, wenn auch nicht schon vorher, wie es der Kreuzweg darstellt – das ist eine Extrapolation und Vorverlegung  in die dramatische Geschichte des Kreuzwegs; oder wenn seine Mutter den Gestorbenen im Arm hält – die Pieta; oder wenn er sich den unfruchtbaren Frauen zuwendet. Es sind elementare menschliche Lebensszenen, die uns da vor Augen gehalten werden und die christlich aufgefangen werden, auch heute.
 
Liebe Karfreitagsgemeinde,

Romano Guardini, berühmter katholischer Religionsphilosoph des 20. Jahrhunderts, schreibt in seinem seit 1919 immer wieder aufgelegten Buch über den Kreuzweg:

„Der Beter sollte in den einzelnen Stationen sein eigenes Leben wieder finden; sollte seine tägliche Not in Verbindung sehen mit der des Herrn und daraus Einsicht und Kraft schöpfen, sein Leiden nicht nur zu tragen, sondern auch zu besiegen.“ Und Jörg Zink, bekannter evangelischer Theologe, hat gesagt: „Die Evangelien bestehen in kurzen Bildern, in denen aufleuchtet, wer Jesus ist. Wer er ist, enthüllt sich in einer Situation. … Der Anfang des Einübens in eine Begegnung mit Jesus Christus könnte in der Geschichte der Passion liegen, im Kreuzweg. Und dort liegt auch, (selbst) nach einem lebenslangen immer wieder neuen Begegnen mit seinen Bildern, das Ziel aller Meditation eines Christen.“

Und da ist es ganz gleich, ob evangelisch oder katholisch, es geht um elementare Lebenssituationen und ihre christliche Wahrnehmung und hilfreiche Deutung.

In diesem Sinne meditieren wir abschließend wahlweise eine Situation – vorhin beim Kreuzweg hatte ich Station 14: Grablegung Jesu – nehmen wir nun Station 6: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch.

Nach der kirchlichen Überlieferung hat Veronika ihr Tuch Jesus von Nazareth auf dessen Weg zum Kreuz gereicht, um Schweiß und Blut von seinem Gesicht zu nehmen. Dabei hat sich das Gesicht Jesu auf wunderbare Weise auf dem Schweißtuch als sogenanntes Veronikabild eingeprägt. In den Evangelien wird über eine Frau mit einem Leiden berichtet, die das Gewand Jesu von hinten berührte, und es heißt: Sofort spürte sie deutlich, dass sie von ihrem Leiden geheilt war. An anderer, außerbiblischer Stelle trägt diese Frau den Namen Berenike, lateinisch: Veronika. „Veronika“ wurde später als eine Zusammensetzung aus lateinisch vera „wahr“ und griechisch Εικών “Bild“, in "wahres Bild" umgedeutet.

Und das ist für uns heute das Entscheidende: Dass wir ein wahres Bild von Jesus Christus in uns tragen. Wenn wir heute seinen Kreuzweg, sein Kreuz bedenken, an welcher Station auch immer, in welcher Lebens-situation auch immer: als Schmerzensmann und Gekreuzigten. Sein Bild in uns. Der, der so vielen Menschen in ihrem Kummer, in ihren Schmer-zen geholfen hat, dem musste am Ende selber geholfen werden, weil er selbst ein Schmerzensmann geworden war. Für uns Christen ist er weltweit das Urbild des geschundenen, des gefolterten, des geplagten, des entrechteten und verachteten Schmerzensmenschen. Urbild: das heißt für uns: in ihm sehen wir alles Leid von damals bis heute vorgeprägt und aufgefangen. Urbild des Schmerzensmenschen, das heißt, dass wir ihn schmerzvoll berührt bedenken und uns von diesem Bild dazu anregen lassen, dass wir anderen Menschen, die Leid tragen müssen und von Schmerz gezeichnet sind, helfen, ihren Schmerz zu ertragen und zu überwinden, so möglich. Das ist für mich der Sinn des Schweißtuches der Veronika. Dass Christi Bild in uns wirksam werde, für uns selbst und andere. Und dieses Bild soll uns auch im eigenen Sterben trösten, es soll für uns selbst ein Trostbild sein:

Wie der Maler Mathias Grünewald es einmal gesagt hat:

„Geht mir nit drum, ob mein Leib verdorrt wie Gras, aber um dein Bild in mir geht´s mir.“  
      
Darum bitten wir Gott in Jesus Christus, Gottes menschlichem Gesicht für uns, unserm Urbild im Glauben.

Amen.