04.12.2022 - 2. Advent

Gottesdienst


mit Pfarrer Johannes Habdank

um 10 Uhr im Katharina von Bora-Haus

Musikalische Gestaltung: Projektchor unter Ltg. von Frieder Harz

Nachstehend die Predigt zum Nachlesen.

 

Predigt von Pfarrer Johannes Habdank am 2. Advent 2022
über das Hohelied 2, 8-13 (Lesung innerhalb der Predigt)


Herr, gib trübe Augen für Dinge, die nicht taugen; und Augen voller Klarheit für dich und deine Wahrheit. Amen. (Nach Kierkegaard)


Liebe Gemeinde,

vorgestern fand ich in der tz eine kleine Meldung, die ich fast übersehen hätte, in der Rubrik „Panorama“, Titel: „Trennung auf Hochzeitsfeier“.

Neu-Delhi. Weil sie sich auf ihrer Hochzeit von ihrem Bräutigam belästigt fühlte, rief eine Braut (23) in Indien die Polizei – und verließ ihren frisch angetrauten Mann. Der Bräutigam habe sie vor 300 Gästen geküsst, darum zweifle sie seinen Charakter an. Küsse in der Öffentlichkeit sind in Indien tabu!

Das gerade Gegenteil ist mir vor ein paar Jahren bei einer kirchlichen Trauung in Aufkirchen als Pfarrer passiert: am Ende der Trauzeremonie – Ja-Wort – Ringtausch - Segnung – vor dem Altar fängt das Hochzeitspaar an, sich vor der versammelten Festgemeinde den Trausegen noch einmal gegenseitig zu bestätigen, und zwar durch einen intensiven wirkungsvoll inszenierten Zungenkuss, auch vor etwa 300 Gästen. Mit zunehmender Dauer des Kusses reagiert die Gemeinde mit Oho- und Bravo-Rufen. Ich darf mir das Ganze auf einen Meter Entfernung direkt mit ansehen – wende mich dann aber demonstrativ ab, um für alle sichtbar auf die Uhr zu schauen – Riesengelächter und Hallo, je länger der Kuss dann immer noch dauert! Dabei blieb es dann allerdings auch. Gefühlt waren es 5 Minuten, wahrscheinlich war´s tatsächlich nur eine oder eine halbe. Schlussapplaus!

Soweit zwei Beispiele – aus Indien und dem liberalen Oberbayern – liberalitas Bavariae aus der Freiheit eines Christenmenschen - zur unterschiedlichen kulturellen Wahrnehmung von öffentlichen Liebes-Inszenierungen am Hochzeitstag!

Jetzt werden Sie sich fragen, liebe Gemeinde: wie kommt er denn auf sowas, was erzählt er uns denn da am 2. Advent? Wo es doch um die Vorbereitung auf Weihnachten geht?

Es liegt an der neuen Predigtordnung, die 2018 eingeführt wurde und für heute, den 2. Advent, etwas ganz Neues vorsieht: erotische Liebeslyrik aus dem Hohelied der Liebe im Alten Testament. Das gibt es!

Das Hohelied der Liebe ist ein kleiner literarischer Schatz, eine Sammlung von erotischen Liebesgedichten und -liedern auf hohem Sprach-niveau aus dem 2./3. Jahrhundert vor Christus, ein Schatz, der Motive und Traditionen aus der mesopotamischen und vor allem altägyptischen Liebeslyrik aufnimmt, sowie aus der zeitgenössischen hellenistisch-griechischen Liebeslyrik etwa eines Theokrit. (Das ist auch das geistige Reizklima, in dem Jesus aufgewachsen ist und wohl auch ausgebildet wurde, diese hellenistisch-jüdische, offene Bildungslandschaft:) Die Kulturen waren ja damals sehr gemischt. Und das artikuliert sich im Hohelied der Liebe, nicht zu verwechseln mit den berühmten paulinischen Worten aus dem 1. Korintherbrief, Kapitel 13, wo es am Ende heißt: Nun bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Da ist aber letztlich dann schon die christliche Nächstenliebe gemeint, im Alten Testament aber die reine zwischenmenschliche, erotische Beziehung und Liebe. Sie wird da in den schönsten Farben und Schattierungen, meist wunderschönen, hochsuggestiven Naturbildern beschrieben, und zwar nicht einmal eine Liebe, die an irgendeinen Hochzeitsritus gebunden zu sein scheint, nein, das Hohelied ist kein Hochzeitsdrehbuch sei es für Götter noch für Menschen, sondern es thematisiert in weiten Teilen die freie Liebe zwischen Liebenden, sogar freie Liebe in der Natur, in der „Braut und Bräutigam“ ihre Liebe frei genießen!

Goethe und Herder haben deshalb hochlobend das Hohelied der Liebe aus dem Alten Testament als Wertschätzung der rein zwischenmenschlichen, erotisch-sexuellen Liebe hoch gepriesen.

Die offiziellen Religionsvertreter taten sich mit dieser rein menschlich-erotischen Liebesliedersammlung von Anfang an schwer, weil sie ihnen anstößig vorkam. Ja, Prüderie ist signifikant für den institutionellen und theologischen Umgang mit dem „Hohelied der Liebe“, wobei „Hohelied“ bedeutet: Das schönste Lied der Liebeslieder. So dass man sich bis heute fragt: wie konnte so etwas überhaupt in die heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments hineingeraten?

Eine erste Antwort gaben die hellenistisch-jüdisch Gelehrten: Es gehe in dieser Liebeslyrik eigentlich – allegorische Deutung – um das Verhältnis von Gott zu seinem Volk Israel. Auch wenn Gott in ihnen mit keiner Silbe vorkommt? Zudem galt in alten Zeiten diese Liebesliedersammlung als von dem sagenhaften König Salomo stammend. Historisch eher unwahrscheinlich, aber unter seinem Namenspatronat war diese profane Liebesliedersammlung dann doch legitimiert, um in die hebräische und anschließend christliche Bibel aufgenommen zu werden.

Was haben die Christen daraus gemacht? Sie haben diese kunstvolle profane Liebes- und Erotik-Lyrik uminterpretiert auf das Verhältnis der Kirche zu Jesus Christus, der einzelnen Seele zu Christus (Mystik), oder sogar der Beziehung von Maria (stellvertretend für die Kirche) und Christus. Auf solcherlei Weise kann man den erotischen Ursprungscharakter der Lieder und Gedichte auch einfach wegbügeln - nur peinlich. Ein Verdrängungsprozess: da klemmt´s irgendwo …, oder? Vor diesem vielfältigen aktuellen und religionsgeschichtlichen Hintergrund jetzt die Predigtgeschichte für den 2. Advent aus dem Hohenlied, Kapitel 2:

„Da ist die Stimme meines Freundes! Siehe, er kommt und hüpft über die Berge und springt über die Hügel. Mein Freund gleicht einer Gazelle oder einem jungen Hirsch. Siehe, er steht hinter unsrer Wand und sieht durchs Fenster und blickt durchs Gitter. Mein Freund antwortet und spricht zu mir: Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm her! Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist vorbei und dahin. Die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube lässt sich hören in unserm Lande. Der Feigenbaum lässt Früchte reifen, und die Weinstöcke blühen und duften. Steh auf, meine Freundin, und komm, meine Schöne, komm her!"

Was hat das frühlingshafte Glücksgefühl der Liebenden mit unserem Advent zu tun, liebe Gemeinde? Wohl ist als tertium comparationis, also der einzige Vergleichspunkt der: die Vorfreude auf das Kommende! Wie von etwas Geliebtem? Advent als sich hinspannende, erwartungsfrohe Liebe zu Weihnachten? Oder doch etwas zurückhaltender: Wie wird Weihnachten diesmal sein? Können wir es so feiern wie früher? Haben wir uns die letzten Jahre auch schon gefragt. Gibt es so etwas noch wie echte Vorfreude? Angesichts der immensen Probleme in der Welt und bei uns? Zum Teil auch in den Familien?

Gibt es noch dieses Gespanntsein wie bei dem Liebespaar aus dem Hohenlied? Wie vielleicht damals bei uns selbst beim ersten Verliebtsein. Damals. Wo man daraufhin fieberte, ihn oder sie endlich wieder zu sehen? Am Bahnhof, etwa nach langen Kriegszeiten. In der Erwartung zu Hause. Wie es sich viele gerade wünschen würden. Endlich ist sie oder er da, wieder da, oder wir bei ihm. -  Gibt es das noch? Diese Spannung auf Weihnachten hin? Diese Liebe zu diesem fast schon märchenhaften Jesuskind? Diesem ganzen Weihnachtszauber, der uns wenigstens für ein paar Stunden oder Tage verwandelt? Diesen Verwandlungszauber? Gibt es den? Dieses quasi verliebte Gespanntsein? Oder geht es uns so, wie der verehrte Marcel Reich-Ranicki am Ende seines Literarischen Quartetts, seiner Sendung, immer gesagt hat:

„Und, meine Freunde, am Ende sehen wir, wie immer, betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen!“

Amen.