07.08.2022 - 8. Sonntag nach Trinitatis

Gottesdienst


mit Pfarrerin Sandra Gassert, Penzberg


um 10:00 Uhr im Katharina von Bora-Haus, Berg

Der Gottesdienst fand statt im Rahmen der Predigtreihe „Das Meer. Von den Tiefen und Untiefen des Lebens". Thema der Predigt von Pfarrerin Gassert: Hier sitze ich und kann nicht anders" (Jona im Walfischbauch).

Nachstehend (ggf. "Weiterlesen" anklicken) die Predigt zum Nachlesen.

„Hier sitze ich und kann nicht anders" (Jona im Walfischbauch)
Predigt von Pfarrerin Sandra Gassert, Penzberg, in der Sommerpredigtreihe 2022:
„Das Meer. Von den Tiefen und Untiefen des Lebens“

 

Greta Thunberg vor den Vereinten Nationen. "How dare you", wie könnt Ihr es wagen" ruft sie, und "Ich möchte, dass Ihr in Panik geratet". Heute, drei Jahre später wissen wir… die Staatschefs sind nicht in Panik ob ihrer Botschaft gefallen. Und außer ein paar netten Worten im Anschluss an die Rede ist nicht viel passiert. Zum einen verständlich angesichts der anderen großen und größten Herausfoderungen der letzten Zeit und doch gleichzeitig auch zum Verzweifeln, wenn man die Klimakapriolen des Sommers weltweit beobachtet. Als würde jemand uns zurufen: how dare you… so mit dieser Welt umzugehen.

How dare you…  rufen Aktivist*innen und Oppositionelle in vielen Bereichen und Ländern Regierungschefs zu, manche absolut zu recht. Doch gehört werden sie nur selten.

Stattdessen werden Warnungen totgeschwiegen oder zerredet. Ihren Überbringern werden die übelsten Motive unterstellt. Ihre Glaubwürdigkeit mit allen Mitteln beschädigt. Greta (nur zum Beispiel) wurde im Anschluss an die Rede als naiv und hysterisch hingestellt. Manche sagen: Klimaforscher oder auch Virologen wollten sich doch bloß wichtigmachen und uns den Spaß verbieten oder sich aufspielen.
 
Und nichts geschieht…

Jede und jeder, der sich in einer größeren Gruppe oder Organisation für wirkliche Veränderung eingesetzt hat, kann ein Lied davon singen.
 
Auch den Propheten der Bibel von Mose bis Jesus ist es so ergangen. Die Mehrheit der Menschen schlägt ihre Warnungen in den Wind. Prophet zu sein ist in der Regel ein einsames, schmerzhaftes und zuweilen tödliches Geschäft.

Wer kann es Jona da übelnehmen, dass er so gar nicht begeistert war, als Gott ihn in seinen Dienst ruft. Prophet? In Ninive, einer riesigen Stadt? Mit üblem Ruf? Nicht wirklich.

Wie ist es, wenn wir in unserem Leben plötzlich gefragt sind? Weil Gott, oder für die weniger gläubigen unter uns, das Schicksal, uns an einem Punkt im Leben stellt, wo wir aufstehen, uns aufmachen und uns einsetzen müssten für etwas Wichtiges… aber gleichzeitig wissen, dieser Auftrag bringt uns aus unserer Komfortzone. Aus unserem alltäglichen, ruhigen und sicheren Leben.
 
Als Christinnen und Christen müssten wir alle überzeugt sagen: Ich glaube, dass Gott weiß wo er uns hinsendet, dass dieser Ort der Richtige sein wird, dass wir vertrauen dürfen.

Ich selbst... das gebe ich unumwunden zu... gehöre eher zu den großen Ängstlichen und Zaudernden (zumindest seit ich eine Mutter bin) und ich Kann Jona aus vollem Herzen verstehen, wenn er nicht begeistert ruft: Klar! Gott ruft mich nach Ninive… ich werde zwar da zu 97,2% grausam umgebracht, aber das schreckt mich nicht.
 
Mich schon.
 
Nun gut. In meinem Leben hat mich Gott noch nie an einen Ort wie Ninive gesendet. Ängstlich bin ich aber doch beim Gedanken daran, dass sich mein so wohlgeordnetes und behütetes Leben verändern könnte. Ich bin wohl ganz sicher kein Prophet.

Jona will auch keiner sein. Brav geht er zwar von seinem Zuhause weg, aber nicht nach Ninive… er geht hinunter zum Meer, wie es in der Bibel steht…

Er geht nicht nur ins Tiefland, wie man glauben könnte… der Text spricht hier zweideutig. Er geht wohl auch ganz tief in sich… grübelnd, nachdenkend… und er geht zum Meer… das Weite und den Blick auf den Horizont verspricht.
Vielleicht würde er heute in ein chices Tagungshotel gehen um dort um Yogaretreat zu machen. Oder er pilgert auf dem Jakobsweg, geht ins Kloster, oder nimmt sich eine andere Art von Auszeit.
 
Denn er braucht Zeit - Zeit um nachzudenken. Um abzuwägen.
 
Doch die erhoffte Ruhe bringt ihm das Ganze nicht. Er ist unschlüssig. Hadert. Verzweifelt, weil er nicht weiß, was er tun soll. Und das Meer (übrigens das antike Bild für Chaos), es ist nicht ruhig und romantisch... es tobt.  Wir könnten also umschreiben: das Chaos in und um Jona droht ihn zu verschlingen… und all die Bemühungen seiner Mitreisenden, die mit ihren spirituellen Zugängen versuchen Jona zu retten, schlagen fehl. Sie erreichen ihn gar nicht. Denn Jona hat sich tief im Schiffsbauch eingenistet, dort wo man nur durch eine Wand vom Chaos entfernt ist, wo man den Horizont nicht sieht. Er ist ganz tief unten … könnte man sagen.
 
So tief, dass es Ihm recht ist, dass seine Mitreisenden ihn ins Meer werfen. Er schlägt es ihnen sogar vor. Er hat keine Angst. Er ist schon unten.
 
Jona spürt - es gibt keinen anderen Weg als sich Gott auszuliefern. Als antiker Mensch war er sich vermutlich ziemlich sicher, dass der zürnende Gott ihn jetzt vernichten will, weil er nicht gehorcht hat. Tun-Ergehen Zusammenhang nennt man das.
 
Aber es kommt anders. Denn als alles verloren erscheint… als das Chaos Jona gänzlich verschluckt hat und sein Leben scheinbar verwirkt ist. Kommt auf Gottes Geheiß ein Wal und schluckt Jona. Er rettet ihn vorm Ertrinken.

Ob das wirklich passiert ist? Nein.
 
Zu der Zeit als diese Geschichte geschrieben wurde, war Ninive schon längst zerstört. Und von einem Propheten Jona sagen die alten Quellen auch nichts in der betreffenden Zeitspanne.
 
Das ist aber nicht wichtig, nicht ausschlaggebend. Denn es geht hier nicht um historische Wahrheit, sondern um einen sehr alten und sehr sehr weisen Text. Der in Bildern zu uns spricht.
 
Wie mit dem Bild des Walfischbauchs. Stellen sie es sich vor... da sitzt er. Im Bauch. Im Finstern. Das Chaos aber, die tödlichen Fluten, können Jona nicht mehr erreichen. Wie in einer Blase ist er sicher. 3 Tage… 3 Tage bis zur Auferstehung, äh ich meine Ausspuckung hat Jona Ruhe. Stille. Ob er viel schläft? Vielleicht. Ob er fastet. Vermutlich. Und ganz zurück geworfen auf sich selbst und auch auf Gott… kommt er zur Ruhe. Zum Frieden. Endlich
Nicht wie ich will, sondern wie du willst. Das sagt ein anderer in der Bibel, an einem anderen Abend. Aber die Erfahrung ist wohl ähnlich.
 
Ich bin Paliativsseelsorgerin - ich höre diesen Satz immer wieder. Andere Worte vielleicht. Aber eine ähnliche Erfahrung.
 
Für Jona ist dieser Ort, dieses Erleben aber nicht das Ende... es ist der Beginn seiner eigentlichen Tätigkeit.
 
Gott setzt ihn da raus, wo er ihn immer schon haben wollte. Wo seine Aufgabe im Leben ist.

Die Jona Geschichte ist zu Recht eine der großen, bekannten und weisen Geschichten der Bibel. Sie ist eine überaus zeitlose. Vielleicht sogar moderne Novelle. Denn es geht in ihr nicht um die Frage, was ein Wal frisst, sondern um unsere persönlichen Wege im Leben. mit Gott.

Ich fasse zusammen. Es geht um:

  1. Wir alle haben eine Aufgabe im Leben. Einen Ort, wo Gott uns haben will.
  2. Dieser Ort ist vielleicht nicht unbedingt einer, den wir ausgesucht hätten, wenn wir das dürften.
  3. Weglaufen bringt nichts. Denn es macht uns nicht glücklich. Zu wissen, dass man irgendwo gebraucht wird, oder wo sein müssten und es nicht sind, bringt uns keinen Frieden.
  4. Aber: und das ist auch wichtig. Wir dürfen uns Zeit mit der Entscheidung lassen. Wir dürfen ganz tief in uns hineinspüren.
  5. Und erfahren: auch im größten Chaos, der größten Angst, der größten Verzweiflung sind wir nicht allein. Wir werden bewahrt. Gehalten wie in einer Blase. Beschützt und bewahrt.
  6. Deswegen taufen wir mit Wasser. Zeichen des Lebens und des Todes. Zeichen der Fruchtbarkeit und der Zerstörung. Zeichen des Wachsens und des Versinkens. In all dem. Im Guten wie im Bösen, ist Gott bei uns. Das hat er hier jedem in der Taufe versprochen.

Und wenn wir das ernst nehmen... ja vielleicht finden wir dann doch die Kraft und den Mut dorthin zu gehen, wo Gott uns haben will.

Jona ist ein Prophet für alle wie mich, die eher ängstlich sind. Für alle, die sich nicht gerne aus ihrer Komfortzone bewegen, für alle, wie Martin Luther: die nicht anders können, als dort zu stehen, wo Gott dich haben will. Mit aller Konsequenz.

Jona… der Prophet, der erfolgreicher war, als man jemals vermuten hätte können.

Und Jona… der… aber das ist eine andere Geschichte.

Amen.