16.06.2023 - Seelsorge-Kolumne in der tz

Der tägliche tz-Ratgeber
heute: Glaubensfragen


Das Geheimnis des Ölbaums

 

Im Psalm 90, über zweieinhalbtausend Jahre alt, heißt es: „Unser Leben währet siebzig, und wenn’s hoch kommt achtzig Jahre." Heute auch oft mehr – für einen Olivenbaum kein besonderes Alter! Die werden viele hundert, manche sogar 1000 Jahre alt. Pfarrer Habdank geht der Lebensbedeutung dieses Baums nach.

Gedanken von Pfarrer Johannes Habdank.

 

Die Ölbäume, die man heute im Garten Gethsemane am Ölberg in Jerusalem besichtigen kann, sind höchstens achthundert Jahre alt. Es sind also nicht dieselben, unter denen Jesus gebetet hat: „Abba, mein Vater, ist’s möglich, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“ Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden, mit mir. Unter Olivenbäumen schließt Jesus mit dem Schicksal, das ihm auferlegt ist, Frieden. Der Olivenbaum oder auch ein Ölzweig ist schon in den antiken Kulturen ein Zeichen des Friedens, ein Kranz aus Ölzweigen der höchste Siegespreis bei Olympischen Spielen oder für siegreiche Feldherren. Besiegte, die um Frieden baten, trugen als Zeichen einen Ölzweig in der Hand.

Für die biblisch-abendländische Kultur zum klassisch gewordenen Zeichen des Friedens geworden ist der Ölzweig aus der biblischen Urgeschichte von Noah und der großen Flut: Nach vierzig Tagen lässt Noah einen Raben ausfliegen, danach eine Taube. Beide kehren bald zurück, da die Erde noch ganz mit Wasser bedeckt ist. Noah lässt abermals eine Taube fliegen. Die bringt ein Ölblatt in ihrem Schnabel mit, ein Zeichen, dass die Flut vorbei ist. Eine weitere Taube kehrt nicht mehr zurück, neues Leben auf der Erde ist wieder möglich (1. Mose 8). In poetischer Version nach Bachs Matthäuspassion lautet das: „Am Abend, da es kühle war, am Abend kam die Taube wieder und trug ein Ölblatt in dem Munde. O schöne Zeit! O Abendstunde! Der Friedensschluss ist nun mit Gott gemacht.“

Auch in der Malereigeschichte ist der Ölbaum zu einem klassischen Bildmotiv geworden. Van Gogh schreibt einmal an seinen Bruder: „Die Ölbäume sind sehr charakteristisch, und ich gebe mir große Mühe, das einzufangen. Es ist Silber, das mal ins Blaue, mal ins Grüne spielt, bronzefarben und beinah weiß auf gelbem, rosa, violettem oder orangem Boden, der bis zum stumpfroten Ocker geht … Eines Tages mache ich vielleicht etwas ganz Persönliches daraus.“ Hat van Gogh gemacht, wie im Bild zu sehen ist. „Etwas ganz Persönliches daraus machen“, das ist meine Anregung für Sie in diesem Sommer. Sehen Sie sich Olivenbäume an auf Reisen, zu Hause oder im Gartenmarkt. Lassen Sie Ihren Anblick auf sich wirken. Vielleicht geht davon Frieden aus für Sie. Frieden mit sich selbst, mit Ihren Nächsten und mit Gott.
 

DER TÄGLICHE tz-RATGEBER heute: Glaubensfragen (Merkur/tz 16.06.2023)