14.04.2023 - Seelsorge-Kolumne in der tz


Der tägliche tz-Ratgeber
heute: Glaubensfragen


Glauben wir nur, was wir sehen?

 

Ostern ist vorbei. Den Jüngern ist Jesus als der Lebendige erschienen, nur einem nicht: Thomas. Er kann nicht glauben, dass Jesus auferstanden sein soll und damit die Sache Jesu weitergeht. Er zweifelt, bis er selbst sieht und glaubt.

Pfarrer Johannes Habdank geht der Bedeutung des Zweifels für den Glauben nach.

 



Es gibt viele Bibelgeschichten, die von Ostern erzählen: die vom leeren Grab oder von den Jüngern auf ihrem Gang nach Emmaus. Oder Erscheinungswunder am See Genezareth, als einige Jünger wieder in ihre Heimat    zurückgekehrt sind. Am Ufer sehen sie ihn auf einmal wieder, lebt er neu? Kann man das glauben oder muss man daran zweifeln? Der Jesus-Jünger Thomas bezweifelt, dass es stimmt, dass Jesus, der am Kreuz Gestorbene, wieder lebendig sei, auferstanden? Thomas war selber an Ostern in Jerusalem nicht dabei gewesen, als Jesus der trauernden Runde seiner Vertrauten erschien. Vision vom neuen Leben mit Jesus, dem Lebendigen? Spinnen die eigentlich?

Laut Bibel reagiert Thomas, sprichwörtlich „der Ungläubige“ genannt, auf die Erzählung der anderen von ihrer österlichen Erscheinung skeptisch: „Solange ich nicht in seinen Händen die Nagelwunden sehe und meinen Finger hineinlege , werde ich’s nicht glauben.“

Eine Woche später erscheint Jesus auch Thomas, zeigt ihm seine Wunden und sagt: „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Thomas, völlig perplex, fasst nicht in die Wunden seines Herrn, sondern betet ihn an: „Mein Herr und mein Gott!“ Er glaubt. Kritische Reaktion des Auferstandenen: „Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du. Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben!“ Glaubt man nur, was und wenn man sieht? Sieht man nur, was man glaubt? Soll man mehr glauben, als man sieht? Oder sieht man mehr, als man jemals glauben kann?

Religion ist mehr als Sehen, will das Gesehene und Erlebte als Erfahrung in einem überweltlichen, geistlichen Sinne deuten. Es geht letztlich in keiner Religion um das, was man sieht oder erlebt, sondern immer um den Sinn dahinter, die Deutung. Etwa hinter einem noch so wechselhaften, bruchstückhaften Leben, wenn ein Mensch gestorben ist: Welchen Sinn hatte es? Wie können wir es deuten? Oder um den Sinn hinter einem vordergründig als sinnlos    erfahrenen Schicksal oder Tod. Gibt es da überhaupt einen Sinn? Wie kann man das deuten? Zweifel oder Glaube? Antwort: „Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben!“

Übrigens war Thomas gar nicht so ungläubig, wie es immer heißt. Er wollte nur auch selber erfahren, was die anderen bereits erfahren hatten. Das wurde ihm zuteil, eine Woche nach Ostern. ExtraTour vom Chef höchstpersönlich! Damit auch der Zweifler glaubt.
 

DER TÄGLICHE tz-RATGEBER heute: Glaubensfragen (Merkur/tz 14.04.2023)