01.07.2022 - Seelsorge-Kolumne in der tz

 
Der tägliche tz-Ratgeber
heute: Ihre Sorgen


Innere Einkehr: Der beste Urlaub

 

Jetzt ist es ja wieder möglich, in die Ferne zu reisen. Viele freuen sich darauf. Andere sehen darin nur die alte Flucht vor den Altagsproblemen. Pfarrer Habdank meint, dass man ganz egal wo, sei es im Urlaub oder zu Hause, immer wieder Gelegenheiten nutzen kann, zu reisen – und zwar in der eigenen Seele.

Pfarrer Johannes Habdanks Gedanken hierzu:

 

 

Sie fahren an die fernsten Küsten, aber in ihrer eigenen Seele reisen sie nicht, schrieb der antike römische Rhetoriker Lactantius. Er lebte um 300 nach Christus, als es noch keinen Massentourismus gab. Wohl aber einige reiche Römer, die die fernsten Küsten des Reiches erkundeten – für Lactantius ein Symptom der Selbstentfremdung der menschlichen Seele, Ablenkungsmanöver des Menschen von sich selbst und seinem Wesen. An fernsten Küsten sei man sich auch selbst am fernsten. Stimmt das auch heute?
 
Die Ferne ist uns in dieser modernglobalisierten „Einen Welt“ doch sehr nah geworden! Wo ist das Problem? Ich kann auch auf den Seychellen oder im Himalaya meine Selbsterfahrung machen. Gerade da, weil ich da nämlich endlich mal Ruhe habe, zumindest befristet aussteigen und außerhalb meiner normalen Lebenswelt sein kann, um im Umfeld des ganz anderen ganz zu mir selbst zu kommen! Wenn du an Orte fährst, die dir von früher etwas bedeuten. Sei es im Osten Europas, weil du von da vertrieben wurdest, sei es im Süden, weil du da einen Freund kennengelernt hast oder da immer Ferien gemacht hast – du gehst da immer auf Spuren anderer oder deiner selbst. Jede Reise kann eine Reise in der eigenen Seele sein! Und wenn es nur der Wochenendausflug an einen unserer Seen ist oder der Isar-Spaziergang.
 
Das gilt auch für Dienstreisende: Ob der Topmanager am Airport von L.A., der Wissenschaftler im Stau nach Garching, der Politiker am Lehrter Bahnhof in Berlin, der in die bayerische Heimat zurück will – wegen einer unplanmäßigen Verzögerung hat er endlich wieder mal ein, zwei Stunden Zeit zum (Handy-)Abschalten, Nachdenken, Innehalten. Wann sonst soll er in seiner Seele reisen, wenn nicht jetzt? Wann sonst soll bei seinem Lebenstempo ihm seine Seele nachkommen?
 
Das gilt auch für den Alltag jedes Menschen: die Gelegenheiten wahrnehmen und nützen, wenn sie sich bieten, um Ruhe zu geben, sich Zeit zu nehmen, in der eigenen Seele zu reisen, zur Selbstbesinnung zu kommen – darauf kommt es an! Man kann sich Gedanken machen angesichts eines Sinnspruchs, eines Bildes, einer Landschaft oder einfach bei einer schönen Musik, einem guten Buch oder beim tz-Le-sen (zum Beispiel bei dieser Ratgeberseite!).

Dass Sie dazu in diesem Sommer Gelegenheit finden, wünscht Ihnen von Herzen: Pfarrer Johannes Habdank
 

DER TÄGLICHE tz-RATGEBER heute: Ihre Sorgen (Münchner Merkur/tz, 01.07.2022)