27.02.2022 - Estomihi

Katharina von Bora-Haus im Winter
Bildrechte Ev.-Luth. KG Berg

Gottesdienst


mit Pfarrer Johannes Habdank


um 10:00 Uhr im Katharina von Bora-Haus
(2G-Regel und FFP2-Maskenpflicht!)

Nachstehend das aufgezeichnete Livestream-Video zum Nachempfinden des Gottesdienstes und - im Anschluss daran - die Predigt zum Nachlesen.

Das aufgezeichnete Livestream-Video des Gottesdienstes zum Nachempfinden

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Predigt von Pfarrer Johannes Habdank am 27.02.2022, Estomihi, letzter Sonntag vor der Passionszeit


Das biblische Wort für heute, liebe Gemeinde, hat nichts mit Jubel, Trubel, Heiterkeit, Scherz oder Schabernack zu tun, das würde momentan auch nicht passen, angesichts der weltpolitischen Ereignisse - im Gegenteil. Zu Beginn der Passionszeit, die mit Aschermittwoch anfängt, geht es darum, dass Jesus seinen Jüngern sein nahendes Leiden und Sterben ankündigt. Beim Evangelisten Markus im 8. Kapitel steht geschrieben:

Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schrift-gelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Liebe Gemeinde, zweifelsohne gibt es in der Bibel viele erbauliche, tröstliche, auch ästhetisch ansprechende Passagen – diese jedoch zählt nicht dazu. Sie ist sperrig, beunruhigend, wirkt in sich scheinbar sogar widersprüchlich und paradox. Kein Wunder, dass der Jünger Simon Petrus entsetzt dazwischen geht und Jesus bremsen und korrigieren will. Kann ich erstmal auch verstehen: So etwas möchte niemand hören, alle diese schrecklichen Worte: Leiden, Sterben, Kreuz, Selbstverleugnung. Wenn sie so massiv hervorbrechen wie hier aus dem Munde Jesu, da möchte man sich am liebsten die Ohren zuhalten und etwas dagegen sagen.

Und Jesus lässt ja wirklich nichts aus. Nicht nur, dass er seinen eige-nen Tod ankündigt – das ist für die Seinen schon schlimm genug, die so viele Hoffnungen in ihn gesetzt hatten – nein, er geht noch weiter. Er macht sein persönliches Schicksal zum Maßstab dafür, was Menschen erwartet, die sich auf ihn einlassen. Er erhebt das Kreuz, eigentlich ein Zeichen der Schande, zum Symbol der Jüngerschaft. Er behauptet allen Ernstes, dass Leiden Sinn macht, dass der Gewinn im Verlust liegt und der Sieg in der Niederlage. Das klingt erstmal verrückt, alles andere als einleuchtend, geschweige denn einladend. So wirbt man doch nicht für sich, so schreckt man vielmehr ab. Ein seltsamer Prophet, dieser Jesus von Nazareth. Stachel im Fleisch jedes Menschen, jeder Gesellschaft, damals wie heute!

Denken wir heute an die Nachrichten aus aller Welt: Korruption und Profitgier in Wirtschaft, Politik, Bestechungsskandale ohne Ende. Vorgänge wie diese können allein sprachlos machen. Umso mehr, wenn uns fast zeitgleich Nachrichten von erneuter Kriegstreiberei und verbrecherischem Kriegshandeln erreichen. Wobei die weltpolitisch höchst gefährliche Ukraine-Krise „nur“ ein besonders krasses Beispiel ist, es gibt seit Jahren dauernd etwa 20-40 Kriege in der Welt, je nach Definition. Profitgier oder Machtgier mit Waffengewalt durchsetzen.

Ich denke in dem ganzen Zusammenhang an die Worte Jesu: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“ Mit diesen Worten erteilt Jesus allem rücksichtslosen Vorgehen auf Kosten anderer eine deutliche Absage. Ja, noch mehr: Er verschiebt die Gewichte zugunsten einer ganz anderen, menschlichen Größe: der Seele.  Nur, Aggressoren wie jetzt wieder, ist das doch egal, oder. Die lachen doch darüber! Seelischen Schaden haben sie schon lange genommen. Und jetzt behelligen sie mit ihrem Psycho-Wahnsinn die Welt und ihre Menschen, gab´s ja schon öfter in der Geschichte.

„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“

Seele – ein altertümlich anmutendes Wort. Im antiken Sprachgebrauch ist Seele das, was den Menschen ausmacht, was ihn prägt und sein Denken und Wollen bestimmt. Es ist der Kern seines Wesens. Und dass dieser Kern heil und gesund bleibt und keinen Schaden nimmt, das ist Jesus zufolge das Wichtigste im Leben, ungleich wichtiger als alle materiellen Güter und alles Machtstreben.

Was in den Ohren vieler Menschen ziemlich weltfremd klingen mag, enthält aber doch eine tiefe Wahrheit. Denn wir merken doch immer deutlicher, wohin der unentwegte Drang nach Gewinn und Macht, dieses nimmersatte Streben nach immer noch Mehr uns bringt. Nicht nur das menschliche Miteinander, soziale Verantwortung und Vertrauen leiden darunter. Auch unser gemeinsamer Planet Erde trägt immer größere Wunden.

Erinnern Sie sich? Der Kosmonaut Alexander Gerst, unser „Astro-Alex“, hat vor ein paar Jahren aus dem All gesagt, als er das erste Mal von der ISS zurückkam, dass er überwältigt sei, wie schön die Erde aussehe, aber auch wie klein sie sei im Blick auf das Universum, und von welch einer zerbrechlichen Atmosphäre umgeben. Und wenn man dann wisse von den Kriegen und der ganzen Umweltverschmutzung, die die Erdenbewohner, die „Erdlinge“ also wir Menschen anrichteten, dann sei das eine unverständliche Sache! Er möchte – wieder zurück auf der Erde – den Menschen den Blick von außen zeigen, um ihnen die Augen zu öffnen. Es sei schließlich die einzige Erde, die wir hätten.“ So sinngemäß Alexander Gerst. Das Wort Frieden kam ihm übrigens gar nicht erst in den Sinn und mit keiner Silbe über die Lippen. Und es wäre ja auch Schönfärberei und Heuchelei, wenn man mit Blick auf die Welt und ihre Menschen heute von Frieden sprechen würde. Und die Atmosphäre ist nicht nur in physikalisch-astronomischer Hinsicht zerbrechlich, sondern allgemein menschlich, im Kleinen und im Großen.

Es genügt wohl kaum, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Es muss sich auch jeder von uns selber, ich mich auch, fragen, ob er im Rahmen seiner Verhältnisse und Möglichkeiten genug tut, dass möglichst keine Seele Schaden nimmt, nicht nur die eigene. Das muss jeder selber wissen. Und es wird in dieser Gemeinde und von ihr sehr viel getan!

„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme an seiner Seele Schaden?“ - Ein Kollege von mir schreibt dazu:

„Jesus kehrt die Maßstäbe um. Er propagiert es nicht nur, sondern er lebt es auch vor. Er lebt nicht gegen andere, sondern für andere – und dies bis zur letzten Konsequenz. Er heilt die Kranken, tröstet die Trauri-gen, richtet die Gebeugten auf und kennt keine Berührungsängste. Er schenkt weder Geld noch Güter, sondern sich selbst. Und er hält uns dazu an, es ihm gleich zu tun, ihm auf diesem Weg zu folgen. Eine enorme Herausforderung, in der Tat.“ Und weiter, sinngemäß: Wir möchten gewinnen und behalten; Jesus rät zum Loslassen und Verlieren. Wir möchten nach oben bzw. an einen Wunschplatz für uns kommen und dort bleiben; er rät dazu, den letzten Platz einzunehmen. Wir machen vor Leid und Tod die Augen zu, soweit es geht; er rät dazu, das Kreuz zu schultern. Wir haben die eigenen Interessen im Blick; er rät dazu, sich selbst zu verleugnen, was ja nichts anderes bedeutet, als von sich selbst nach Möglichkeit abzusehen, seine eigenen Interessen zurückzustellen. Gewiss darf man auch diese Einstellung nicht verabsolutieren und zur Ideologie erheben. Sonst wird sie zu einem moralischen Selbstanspruch, der durchaus etwas Gnadenloses und Unmenschliches haben kann, wo dann die Seele auch Schaden nimmt.

Jesus hatte seinerzeit Menschen vor Augen, denen die Nachfolge mitunter wirklich alles abverlangte, bis zum Verlust des gesamten Vermögens oder gar bis zum Tod. Im Laufe der Kirchengeschichte ist dann aber mit seinen Worten auch mancherlei Schindluder getrieben worden. Das ging sogar so weit, dass man überhaupt keine eigenen Wünsche mehr haben durfte und das ganze Leben ein permanentes Opfer zu sein hatte. Das Leiden wurde geradezu glorifiziert, als sei es in und an sich etwas Gutes und Wünschenswertes. So hat man Jesus grob missverstanden. Er wollte das Leid der Menschen nicht mehren, sondern mindern; er predigte nicht den Mangel, sondern die Fülle. Nicht von ungefähr ist in seinen Gleichnissen immer wieder vom Feiern die Rede, von Hochzeiten und reich gedeckten Tischen. Aber zugleich wies er darauf hin, dass pure Selbstsucht und unersättliches Gewinn- und Machtstreben eben gerade nicht glücklich machen, weil sie zerstörerisch wirken und den Menschen vereinsamen lassen. Nicht gegeneinander leben, sondern miteinander und füreinander – das ist es, was Jesus sagen wollte und was er uns auch heute ans Herz legt. Um es ganz schlicht auszudrücken und mit anderen Worten: Nicht das Materielle und Physische, das Ego und das Haben machen uns Menschen reich, sondern das Geistige und - eine schöne Seele, die Liebe und die Gemeinschaft.

Ja, Gott, das wollen wir hoffen! Verhilf uns dazu.

Amen.