13.02.2022 - Septuagesimae

Katharina von Bora-Haus im Winter
Bildrechte Ev.-Luth. KG Berg

Gottesdienst mit Abendmahl


mit Pfarrer i.R. Dr. Gerhard Pfister


um 10:00 Uhr im Katharina von Bora-Haus (2G-Regel, FFP2-Maske!)


Nachstehend das aufgezeichnete Livestream-Video zum Nachempfinden des Gottesdienstes und - im Anschluss daran - die Predigt zum Nachlesen.

Das aufgezeichnete Livestream-Video des Gottesdienstes zum Nachempfinden
Bedauerlicherweise kam es während der Predigt zu einem Totalausfall des Tons, der erst gegen Ende des Gottesdienstes wiederhergestellt werden konnte. Wir bitten daher darum, die Predigt von Pfarrer Dr. Pfister hier nachzulesen

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Predigt von Pfarrer i.R. Dr. Gerhard Pfister am 13.02.2022 (Septuagesimae)
über Matthäus Kapitel 20, Verse 1-15
 

Liebe Gemeinde!

Vor 6 Wochen am 1. Januar 2022 wurde der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland auf 9,82 Euro pro Stunde erhöht, am 1. Juli soll er auf 10,45 Euro steigen. Beides hat schon die alte Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel festgelegt und als Gesetz beschließen lassen. Die neue Regierung will das noch verstärken und den Mindestlohn ab 1.Oktober auf 12 Euro pro Stunde erhöhen. Wir wissen, warum die Regierungen, die alte genauso wie die neue, das tun. Der Mindestlohn soll nicht durch das freie Spiel der Kräfte in den Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften festgelegt werden, sondern es muss gesichert sein, dass auch die schlechter bezahlten Arbeitskräfte so viel bekommen, dass es zum Leben reicht und sie nicht zusätzlich mit Sozialhilfe vom Staat unterstützt werden müssen.

Um einen Mindestlohn von besonderer Art geht es auch in einer Geschichte, die Jesus erzählt hat. Der Evangelist Matthäus hat sie in seinem Evangelium festgehalten und sie ist auch zum Evangelium für den Sonntag  Septuagesimae (70 Tage vor Ostern) geworden: Matthäus Kapitel 20, Verse 1-15

1 Mit dem Himmelreich, wo Gott herrscht, wo Gottes Liebe herrscht  und Gott mit den Menschen Gemeinschaft eingeht, ist es wie mit einem  Großgrundbesitzer, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen.
2 Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg.
3 Und er ging aus um die dritte Stunde (gegen 9 Uhr) und sah andere müßig auf dem Markt stehen
4 und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist.
5 Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe.
6 Um die elfte Stunde aber, also um 17 Uhr. aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da?
7 Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand angeworben. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.
8 Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten.
9 Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen.
10 Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeder seinen Silbergroschen.
11 Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn 12 und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.
13 Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen?
14 Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir.
15 Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin? 

Vom Mindestlohn her scheint die Geschichte von den arbeitssuchenden landwirtschaftlichen Arbeitern sehr aktuell zu sein, die Jesus erzählt. Von Menschen, die jeden Groschen bitter nötig haben und die auf dem Arbeitsmarkt warten, dass jemand sie einstellt. Die Geschichte erzählt, wie das passiert, wie an diesem Ort Vollbeschäftigung erreicht wird, mindestens für einen Tag. Nämlich mit einer ganz besonderen Art von Mindestlohn, der als Tageslohn sogar an diejenigen ausbezahlt wird, die viel weniger als einen Tag , nur ein paar Stunden oder im Extremfall nur eine einzige Stunde, gearbeitet haben.

Wenn heute ein staatliches Mindestlohngesetz so etwas festlegen würde, wären sicher nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften in großer Einmütigkeit völlig dagegen und würden protestieren.
Ein solcher Protest erhebt sich ja auch schon in der Geschichte und findet wahrscheinlich unsere Zustimmung. Denn eigentlich hat er doch Recht, der Sprecher der Gruppe, die den ganzen Tag gearbeitet hat: So geht es nicht. Das ist ungerecht! Da wird die Ordnung aufgelöst, nach der die Wirtschaft funktioniert. Am nächsten Tag würden doch alle nur noch eine Stunde arbeiten. Nein, so geht es wirklich nicht. Ordnung muss sein. gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das heißt doch auch: Mehr Lohn für mehr Arbeit, weniger Lohn für weniger Arbeit. Die Unterschiede müssen gewahrt bleiben.

Erstaunlich ist nur, dass der Protest hier in der Geschichte gar nicht im Namen der Ordnung erhoben wird. Die Gruppe spricht nur von sich selbst und vergleicht sich mit der anderen, die nur eine Stunde gearbeitet hat, während sie selbst die Mühe eines zwölfstündigen Arbeitstags in der Hitze ertragen hat. Hinweise auf die Folgen, wenn das Beispiel des Arbeitgebers Schule macht, oder auf den Sinn der Ordnung fehlen vollständig.

Das ist sicher ungeschickt. Aber ist es nicht auch ehrlicher? Wird nicht der eigentliche Kern des Problems deutlich angesprochen: Du hast sie uns gleichgestellt? Der Kampf geht nicht um die Ordnung und dass sie nicht durchbrochen werden dürfte, keiner hätte gegen einen zehnfachen oder zwanzigfachen Lohn protestiert. Keiner hat etwas dagegen, wenn die Ordnung durchbrochen wird durch großzügige Güte. Der Zorn richtet sich nur dagegen, dass die Güte die anderen trifft: Du hast sie zu gut behandelt, du hast sie uns gleichgestellt.

Es ist der Neid, der daran hindert, sich über die überwältigende Güte und Großzügigkeit von Herzen zu freuen.     
Oder ist es gar kein Neid, sondern einfach Egoismus, der den Anderen nicht gönnt, was man selbst hat?

In dieser Geschichte ist etwas angesprochen, was ganz tief in uns allen steckt, was unser Leben und vor allem unser Zusammenleben immer wieder neu belastet.

Und das wirkt sich auch auf unsere Beziehung zu Gott aus.

Denn Jesus zeigt mit seinem Gleichnis, dass beides zusammen gehört, die Beziehung zu Gott und die Beziehung zum Mitmenschen. Er sagt es positiv: die Gottesliebe und die Nächstenliebe. Ob unsere Beziehung zu Gott stimmt, das zeigt sich am Mitmenschen.

Solange der einzelne Arbeiter und der Arbeitgeber allein sind, ist alles in Ordnung. Sobald aber der Mitmensch ins Spiel kommt, wird es kritisch, dann gerät der Arbeiter auch mit dem Arbeitgeber in Konflikt.

Und er merkt gar nicht, worum es eigentlich geht, warum der Weinbergbesitzer so unendlich großzügig ist. Nicht nur, weil er so reich ist, dass er es sich leisten kann. Nein, weil er vielmehr allen das Leben gönnt und jedem das geben will, was er zum Leben braucht.

Ein Silbergroschen, ein Denar, war damals das Geld, das eine Familie brauchte, um einen Tag leben zu können. Davon konnten sie satt  werden und mussten nicht hungern. Das ist  der Grund, warum der Weingutsbesitzer auch denen, die nur eine Stunde gearbeitet haben, einen ganzen Denar gibt. Nicht als leistungsgerechte Bezahlung, sondern letztlich als Geschenk, damit sie leben können.

Und Jesus sagt durch dieses Gleichnis: So ist Gott. Das ist die eigentliche Pointe, warum Jesus dieses Gleichnis erzählt. So ist Gott, so gütig, so großzügig. Er ermöglicht uns allen, dass unser Leben gelingt. Das sein Geschenk. Er schenkt uns viel mehr als Silbergeld, auch viel mehr als den täglichen Lebensbedarf , um den Jesus im Vaterunser bittet: Unser tägliches Brot gib uns heute. Gott schenkt viel mehr, denn das hat Jesus auch deutlich gemacht: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Der Mensch lebt vor allem von Anerkennung, von Zuwendung, von Liebe. Das ist das Leben, das Gott uns schenkt, erfülltes, gelingendes Leben, ein trotz aller Ängste und Sorgen zutiefst glückliches Leben.

Gott geht mit den Menschen nicht auf der Basis von Leistung und Gegenleistung, von Rechnung und Quittung um, sondern er beschenkt uns großzügig. Er gibt uns von vornherein eine Würde, die wir uns nie selbst schaffen könnten. Die Menschenwürde der Kinder Gottes. In dem Psalm, denn wir am Anfang des Gottesdienstes gehört und gebetet haben, erscheint unsere gottgeschenkte Würde sogar als eine königliche Würde: Lobe den Herrn, der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit.

Das ist die Botschaft des Gleichnisses: So ist Gott. So kannst du leben. So können wir alle leben.  Darum ärgert euch auch nicht, dass Gott so gütig ist. Mit Leistung könnt ihr das nicht schaffen. Damit könnt ihr Gott so wenig imponieren wie ihr euch auch nicht selbst geschaffen habt. Freut euch doch, dass es bei Gott nicht nach Leistung geht. Dass wir uns die Glückseligkeit, gelingendes Leben, die Qualität des ewigen Lebens, nicht verdienen müssen, was kein Mensch könnte. Sondern das wir alle ohne Unterschied angenommen, beschenkt, geliebt sind, dass wir alle Kinder Gottes sind.

Es ist eine überaus beglückende Erfahrung, wenn einem Menschen das aufgeht, wie großzügig und gütig Gott uns das Leben ermöglicht.

Die Erfahrung einer überwältigenden Liebe, die wie jede Liebeserfahrung uns deutlich macht, was das Leben wirklich ausmacht und erfüllt. Nicht das was man sich erarbeiten kann, sondern das was wir überraschend und überwältigend geschenkt bekommen, die Liebe, die unser Leben trägt und reich macht.

Wir dürfen diese Erfahrung immer wieder neu machen, auch heute und hier im Gottesdienst, nicht zuletzt beim Festmahl am Tisch unseres Herrn und  Bruders Jesus Christus.

Amen